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würden vielmehr eine unlustvolle als lustvolle Wirkung mitführen.
Nun kann nicht jeder disharmonische Accord durch jeden belie-
bigen harmonisch aufgelöst noch ein erzähltes unlustvolles Ereigniss
durch ein darauf erzähltes beliebiges lustvolles versöhnt werden,
sondern es kommt hiebei die zweite der S. 233 angeführten Be-
dingungen in Mitrücksicht, ,wonach eine Contrastwirkung nach
Massgabc leichter und stärker entsteht, als die psychische Beziehung
zwischen den Factoren des Contrastes abgesehen von den contra-
stirenden Momenten durch Gleichheitspuncte mehr erhalten bleibt.
Factisch schliessen Trauerspiele sowie viele Romane statt
mit einem lustvollen vielmehr mit einem traurigen Ereignisse ab;
und doch können wir uns im Ganzen dadurch befriedigt finden;
aber es wird nur der Fall sein, wenn sie ein wirklich versöhnendes
Moment im Hinblick auf die göttliche Gerechtigkeit oder Gerechtig-
keit der Weltordnung, welche Quellen der Unlust mit Strafen ent-
gegentritt, enthalten; sonst wird die Lust, die wir immerhin an
der Beschäftigung mit den wechselvollen Ereignissen und dem
Gonflict der Charaktere gefunden haben können, schliesslich einen
unlustvollen Nachklang hinterlassen; und ein trauriger Abschluss
ohne irgend ein Moment der Versöhnung bleibt überhaupt gegen
die Regeln der Kunst.
In sofern eine metaphysische Unmöglichkeit vorzuliegen
scheint, dass überhaupt Quellen der Lust ohne solche der Unlust
in der Welt bestehen, kann man bemerken, dass die Weltordnung
dasselbe Princip schliesslicher Versöhnung, was die Kunst einhält,
nicht minder einhalt; wenigstens erscheint es jedem so, der nicht
Pessimist ist. Eine Symphonie, in der sich eine Disharmonie nach
der andern auflöst, ist desshalb das schönste Bild einer Welt-
ordnung, wie wir glauben dürfen, dass sie im Ganzen und Grossen
besteht, nachdem wir von der Tendenz dazu schon genug in unserm
engen Erfahrungskreise beobachten können.
Sehr wesentlich kann die ästhetische Versöhnung eines Un-
lusterfolges durch die vorweg genommene (unter das später zu
betrachtende Princip der Vorstellungslust gehörige) lustvolle Vor-
stellung des späteren Lusterfolges unterstützt werden, so dass die
schliessliche Versöhnung nur als der endliche Abschluss und die
volle Erfüllung einer schon theilweise durch diese Voraussicht bc-
wirkten Compensation, die sogar nicht selten bis zur Uebercom-
pensation geht, erscheint. So kann der Hungrige oder Durstige durch