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führen, welche die an jenen Bedingungen hängende Unlust nicht
nur compensirt, sondern überbietet, indess das Bewusstsein oder
Gefühl des Kränkerwerdens, des Aermerwerdens einen ent-
sprechenden Zuwachs secundärer Unlust mitfülirt.
Princip
der ästhetischen
Versöhnung.
Nur als ein besonderer Fall des vorigen Princips anzusehen
ist das sehr wichtige Princip der ästhetischen Versöhnung, was sich
so erläutert. Nach vorigen] Gesetze compensiren sich zwei Reize,
deren einer an sich eben so lustgebend als der andere unlustgebend
ist, doch nicht in ihrer ästhetischen Wirkung, wenn sie so nach ein-
ander einwirken, dass ihr Contrast zur Geltung kommen kann,
sofern je nach ihrer Aufeinanderfolge eine secundäre Lust oder
Unlust in Ueberschuss über das mittlere Resultat erwächst; ja es
kann selbst ein an sich unlustvoller Reiz durch einen folgenden
an sich schwächeren Lustreiz vermöge dieser secundären Wirkung
compensirt oder überboten werden, Wofern nur der Unlustreiz
nicht von zu grosser Stärke oder Dauer war. Die gesammten Fälle
nun, wo eine Ursache der Unlust durch eine folgende oder als
folgweis vorgestellte, damit contrastirende Ursache der Lust, der
ästhetischen Wirkung nach compensirt oder überwogen wird, "be-
greifen wir kurzerallgemeiner Bezeichnung halber unter dem Aus-
drucke der ästhetischen Versöhnung, wenn schon bisher dieser
Ausdruck vorzugsweise nur in den höheren Gebieten der Aesthetik,
insbesondere Kunstlehre, Anwendung gefunden hat. Es liegt näm-
lich bei der für die Kunst bestehenden Schwierigkeit sich im Kreise
blosser Lustreize zu halten, da solche nicht leicht unabhängig von
Unlustreizen bestehen, und bei der Anfoderung, die Abstumpfung
der Empfänglichkeit für eine Continuilät der Lustreize zu verhüten,
eines der wirksamsten Hülfsmittel der Kunst darin, Unlustquellen
in Bezug zu Lustquellen so anzuordnen, dass das Princip ästhe-
tischer Versöhnung in Kraft tritt, und das Gesammtresultat des
Eindruckes mit Lustübergewicht bestimmt.
Beispiele der ästhetischen Versöhnung sind, wenn ein dis-
harmonischer Accord durch einen harmonischen aufgelöst wird oder
in einem Roman ein uns Theilnahme erweckender Held durch an
sich unlustvolle Wiecliselfälle zu einem glücklichen Ziele geführt
wird. Dieselben Aecorde oder Ereignisse in umgekehrter Folge