Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 2)

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Ein Beispiel verkehrter Wirkung in dieser Hinsicht gewährt die Laterau- 
kirche in Rom. Sie ist in denWänden hell gehalten, weiss mit grauen Nischen, 
worin weisse Statuen stehen, hat auch einen Fussboden in Weiss und 
Grau; die Decke aber nach Michel Angelds Zeichnungen im Renaissanceü 
geschmack verziert, lastet mit ihren verhältnissmässig dunkeln schweren 
Farben unharmonisch auf dem Ganzen.  
Auf dem für Weiss und Schwarz gemeinsamen Mangel des 
Farbenreizes beruht anderseits, dass das Weiss in grossen Massen 
so gut als das Schwarz den Eindruck der Oede macht;  man 
denke an eine Schneelandschaft, eine weisse Zimmerwand ;  und 
dass das Weiss trotzdem, dass es in gewisser Weise als das Gegen- 
theil von Schwarz erscheint, dem Schwarz stärkere Concurrenz 
in seinen Anwendungen macht, als jede Farbe, so dass unter sehr 
analogen Umständen oft die Wahl blos zwischen NVeiss und Schwarz 
oder sehr dunklen Farben ist, ohne dass jedoch der Unterschied, 
der zwischen beiden aus anderm Gesichtspuncte besteht, ausser 
Beachtung dabei fallt. 
So ist das katholische Priestergewand weiss, das protestan- 
tische schwarz; und der anglikanische Pfarrer liest das Gebet vor 
der Predigt in langem weissen Chorhemd, indess er sich zur 
Predigt mit einem langen schwarzen Gewande bekleidetfij So 
sieht man altere ernste Frauen theils schwarz oder sehr dunkel- 
farbig, theils weiss, nie lebhaft farbig gekleidet; auch ist bei Fest- 
aufzügen das Weiss eben so allgemeine Tracht der Frauen als. 
Schwarz die der Männer geworden und geblieben. Wenn aber die 
Kleidung der jetzigen gebildeten Mannerwelt überhaupt schwarz 
oder das in der Mitte zwischen Weiss und Schwarz stehende Grau 
ist, war hingegen die der alten Griechen und Römer weiss. Auch 
die Cravatten der Männer wechseln heutzutage fast nur zwischen 
Weiss und Schwarz. 
Der katholische Cultus ist aber auch noch sinnlicher als der 
protestantische, die ältere Frau, die sich immer weiss kleidet, wird 
noch mehr im äussern Leben suchen, als die sich immer schwarz 
kleidet; und die alten Griechen und Römer abstrahirten noch 
weniger von der sinnlichen Seite des Lebens als wir. 
Auch das haben Weiss und Schwarz wegen ihres gemeinsamen 
Farbenmangels gemein, dass sie abgesehen von contrastiren- 
Westermamfs 
illuStl 
Monatshefte 4865. 
45H
	        
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