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Hinweis auf die Aehnlichkeit der Kunstwerke mit Organismen
directere Betrachtungen wedev in der Lehre von jenen noch diesen
ersparen.
Ausser der Betrachtung eines Kunstwerkes nach seinen inne-
ren Bedingungen giltes, dasselbe nach seinen äusseren Beziehungen
zu betrachten, wodurch seine Bedeutung erst in volles Licht tritt.
Jedes Bild hat seinen bestimmten Platz in der historischen Ent-
wickelung der Malerei, sein bestimmtes Kierhaltniss zu den Bildern
desselben Meisters, derselben Schule, andrer Meister, andrer
Schulen, dem Geschmacke und Interesse der Zeit, gleicht nach ge-
wisser Beziehung andren Bildern und ist nach anderen dayon ver-
schieden, steht von gewisser Seite an Werth unter anderen, von
andrer darüber. Das giebt namentlich bezüglich bedeutenderer
Meister und Kunstwerke nicht nur einen unerschöpflichen Stoff der
Betrachtung, sondern es liegt auch in Verfolgung solcher Bezie-
hungen das wichtigste Bildungsmittel für den Genuss und das Ver-
standniss der Kunst. Schon der Vergleich von einzeln en Kunst-
werken verwandten lnhalts verschiedener bedeutender Meister
kann eben so interessant als instructiv sein; als: der Raphaellschen
Sixtina und der Holbeinlschen Madonna, der BaphaePschen und
Michel Angeldschen Schöpfungsgeschichte, der Michel Angeldschen
und BietschePschen Pieta u. s. w.
Unstreitig kann ein Kunstwerk seinen Eindruck ganz natura-
listisch ohne allen klar bewussten Verfolg solcher äusseren Bezie-
hungen desselben, scheinbar ganz durch seine eignen innern Mo-
mente und die natürlicherweise sich daran anknüpfenden Associa-
tionen, machen; aber eine gewisse, wenn auch nicht methodische,
Bildung durch d-ie Kunst geht doch selbst in die allgemeine Bildung
jedes sog. Gebildeten ein und spielt dann auch ihre Belle in den
unwillkürlichen Associationen mit. Eine richtige Schätzung
eines Kunstwerks kann jedenfalls nur mit Rücksicht auf eine ge-
nauere Kenntniss seiner Verhältnisse zur gesammten Kunst, als
dem mittleren Bildungszuslande geläufig ist, geschehen.