Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 2)

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Einfluss der Kunstgewö h n u n g, diesen Hauptfactor in der Kunst- 
wirkung, nicht erforderlich berücksichtigt hat. Bisher aber hat 
man ihn, so viel ich sehe, gar nicht bei unsrer Frage berück- 
sichtigt, indess die Wichtigkeit dieser Berücksichtigung aus den 
S. 52 ff. angestellten Erörterungen erhellen dürfte. 
Nun könnte man aus einem sehr allgemeinen Gesichtspuncle 
für wahrscheinlich halten, dass, wenn ein wahrer Vortheil vom 
Anmalen der Statuen zu erhalten Wäre, derselbe sich aufdringlicher 
geltend gemacht haben und auch bei unvollkommenen Werken so 
weit herausgestellt haben Würde, um zu vollkommnerer Ausbil- 
dung der Doppelkunst zu reizen. Wer kann es noch zweifelhaft 
finden, dass Musik und Poesie eine vortheilhafte Verbindung im 
Gesange eingehen können, sie hat sich zu sehr von selbst aufge- 
drungen und ist von selbst durchgedrungen; warum nicht eben so 
die polychromische Plastik, und warum hätte man sie wieder fallen 
lassen, nachdem sie doch schon dagewesen, wenn sie gegen eine 
höhere Kunstbildung bestehen könnte. 
Auf letztre Frage lässt sich freilich eine leichte Antwort geben, 
womit sich die erste so ziemlich mit beantwortet. Als man die 
antiken Kunstwerke wieder anfieng schätzen zu lernen, fand man 
die Farben an den Statuen Verloschen, machte sie also auch farb- 
los nach, gewohnte sich hieran als an etwas Mustergültiges und 
fand dann natürlich auch Gründe für diese Mustergültigkeit. Wären 
die Farben nicht verloschen gewesen, so hätte man von vorn herein 
vielmehr die farbigen Statuen als mustergültig nachgemacht, sich 
daran gewöhnt und Niemanden wären Gründe für ihre Verwerfung 
eingefallen. Nach einmal statt gefundener und durch Theorie ge- 
stützter Gewöhnung konnte es aber zu recht ernsthaften und zur 
Entscheidung durchschlagenden Versuchen mit der Polychromie 
gar nicht so leicht kommen. Und sollte es doch einmal dazu kom- 
men, und selbst das Vortrefflichste damit geleistet werden, so 
würde der Geltung davon vielleicht als erste grösste Schwierigkeit 
die vorhandene Gewöhnung entgegenstehen; wie selbst die an sich 
geschmackvollste Klcidermode eine Schwierigkeit findet, sich ein- 
zubürgern und Gefallen zu wecken, wenn der Geschmack durch 
eine lange vorher bestandene geschmacklose verwöhnt worden ist. 
Neuere schüchterne Versuche, Farben hei Statuen anzuwen- 
den, sind zwar wohl hie und da gemacht worden, doch nicht so,
	        
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