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Gesichtspuncte, worauf sich diese Vermuthung stützt, vorweg in
wenig Worten zu bezeichnen, so scheinen mir die bisherigen Gegen-
gründe gegen die Malerei der Statuen überhaupt mehr der Voraus-
setzung ihrer Unzulässigkeit entnommen, als dass sie diese Unzu-
lässigkeit bewiesen, die Entstehung jener Voraussetzung aber ihre
Erklärung in Gründen, die dem Wesen der Sache äusserlich
"sind, wohl finden zu können. In der That scheint mir nicht
nur möglich anzunehmen, sondern wahrscheinlich, dass für jetzt
nur der Mangel hinreichend vollendeter Leistungen in solcher Kunst
mit der Kunstgewöhnung an weisse Statuen und fehlenden Gewöh-
nung an die farbigen zusammenwirkt, die ästhetischen Nachtheile
der letzteren zu verschulden; iauch dafür aber, dass es unsere
Kunst noch nicht zu Leistungen gebracht hat, deren Eindruck für
das Urtheil in unsrer Frage massgebend sein könnte, sich tiussere
Gründe finden zu lassen.
Jedenfalls dürfte das Folgende insofern von Nutzen sein, als
es zu einer neuen Erwägung der Frage aus den hier zur Sprache
zu bringenden Gesichtspuncten anregt, deren dieselbe gewiss be-
darf. Vor der specialen Frage der n aturwia h ren Bemalung aber
wird die Frage der Bemalung über ha upt, insoweit sich's bisher
um solche-gehandelt hat, in Betracht zu ziehen sein.
Von vorn herein nun hat es einige Verlegenheit bereitet, nach-
dem man erst das Verbot bemalter Statuen nach den farbenbaaren
antiken Statuen gemacht und hienach über die mittelalterliche
Geschmacklosigkeit bemalter Statuen den Stab gebrochen, sich je
länger je bestimmter haben überzeugen zu müssen, dass die an-
tiken Statuen- ursprünglich gar nicht farbenbaar gewesen; sondern
die Farben daran nur allmalig geschwunden sind, dass also die
Bemalung der Statuen gar nicht blos eine Sache des Kindeszu-
standes der Kunst ist, sondern bei der gebildetsten Nation, deren
plastische Werke wir als mustergültig für alle Zeiten ansehen, in
Geltung war. Warum doch bei uns nicht mehr, ja warum wehrt
sich bei uns Theorie, Praxis und ausgebildeter Kunstgeschmack
so mehr, je gebildeter er ist, gleichermassen dagegen?
Nun hat man sich in verschiedener Weise der antiken Poly-
chromie gegenüber zu stellen gesucht. Theils ist man geneigt ge-
wesen, um die Mustergültigkeit des antiken Geschmacks nicht an-
zufechten, von der Strenge des Verbots etwas nachzulassen, und
die Malerei an Statuen doch so weit und in gleichem Sinne als statt-