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noch ganz anderm (iewiehte auf, als bei denen der (ienrebilder.
Eine Weintraube, eine Pfirsich, ein geschlachteter llaase, ein Wein-
kelch in halber Naturgrösse dargestellt, würden uns im Bilde
leicht einen tihnliehen Eindruck des Zworghaften oder Verbutteten
machen, als in der Natur. Der Reiz solcher Darstellungen hängt
vielmehr ganz wesentlich daran, dass der Künstler so zu sagen die
Natur selbst in einem nur anmuthigern Arrangement und in schönem
Exemplaren als die Wirklichkeit zu zeigen pflegt, zur Anschauung
bringt, und es besteht sogar ein Gesiehtspunet der ldealisirung
darin, die Blumen und Früchte, wenn auch nicht widernatiirlich
gross, ziber in ungewöhnlich grosseu Exemplaren darzustellen.
Nun müssen die Bilder aber auch, falls wir überhaupt solche
Darstellungen haben wollen die Grösse erhalten, welche zur
Aufnahme einer reichlichen Naturgrösse und zugleich zu einer ge-
wissen Vervielftiltigung der Gegenstäintle nöthig ist, weil sie nur
mit ltüeksieht auf eine gewisse lllannichfaltigkeit und Zusammen-
stellung interessiren; und hie-durch werden sie durchschnittlich
über die Genrebilder hinaufgetrieben, bei denen das Interesse an
dem geistigen lnhalt der Seene und Charakter der Personen unab-
hängig von der natürlichen Grössontlarstellung befriedigt wer-
den kann.
Porträts Inacht man bekanntlich entweder genau in natürlicher
(irösse oder beträchtlich unter derselben; nur bei monumentaler
Darstellung nicht selten kolossal, nicht gern jedenfalls von einer
der Natur sich annahernden Grösse. Unstreitig nun Inacht sich bei
Porträts das Interesse an einer getreuen Wiedergabe der Natur-
grösse von gewisser Seite noch mit grösstrrem Gewichte geltend,
als bei den Gegenständen der Stillleben; wir wollen den Men-
schen im Porträt haben, wie er leibte und lebte; also tritt die
Naturgrösse überall als Normalgrösse für Porträtts auf; von anderer
Seite aber ist in Verhaltniss zu dem Charakter und Ausdruck der
Zuge die absolute Grösse ein so unbedeutendes Moment, dass wir
sie derMögliehkeit, jenen getreu aufbewahrt zu sehen, leicht opfern,
und daher keinen Anstand nehmen, Porträts in kleinerem Mass-
stabe, selbst in Miniatur, darzustellen, wo aussere Gründe der
Wiedergabe in richtiger Grösse entgegenstehen; während wir,
wenn bei Stillleben dasselbe Opfer gebracht werden sollte, nicht
genug Interesse mehr an der ganzen Darstellung übrig behalten
würden, um solche überhaupt noch zu wollen.