Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 2)

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sie in vielen andern Gcnrebildern finden würde. Ein Dritter suchte 
diese Frage so zu beantworten. 
Sollten wir nicht die Grössc der Murilloschen Bettelbubcn- 
bilder blos desswegen dulden, weil wir sie von jeher da zu finden 
gewohnt sind? Alten Meistern sieht man Manches nach, was man 
neueren nicht nachsehen würde; und die Gewöhnung lasst uns 
leicht als recht erscheinen, was an sich keine Berechtigung hat. 
Hätte ein neuerer Meister dieselben lausigen Bettelhuben in solcher 
Grössc gemalt, als Murillo, so würde man das vielleicht als einen 
groben Mangel an Gefühl für Angemessenheit und Schicklichkcit 
getadelt haben, was man jetzt bei ihm ganz in der Ordnung findet, 
und wofür man tiefere Gründe suchtr 
Möglich, dass diese Auffassung das Rechte trifft; doch könnte 
der Grund noch etwas anders liegen oder wenigstens einandrer 
Grund mit Antheil haben, der überhaupt einen Conflict bedingt. 
Die Murilloschen Bilder mit den Bettelbuben nehmen bei voller 
Lchensgrösse der Buben doch noch keinen grosscn Raum ein, weil 
es eben Buben sind, und der Buben auf einem Bilde immer nur 
einer oder wenige sind. Selbst in dieser mässigen Grössc aber 
möchten wir diese Bilder nur in einer Gallerie aufgestellt sehen, 
wo der Platz, den sie einnehmen dürfen, in keiner gleich wichtigen 
Abhängigkeit von der Bedeutung ihres Inhaltes steht, als wenn sie 
an den Wänden einer Privatwohnung Platz finden sollten. Wer 
möchte da Bettelbubenscenen immer in solcher Ausdehnung vor 
Augen haben. Zugleich aber macht sich folgende Rücksicht gel- 
tend, welche zwar gemeinhin von der Schicklichkeitsrücksicht 
überwogen wird, doch da, wo sich diese, wie bei Galleriegemäl- 
den, nicht zu stark geltend macht, auch wohl einmal das Ueber- 
gcwicht gewinnen kann. 
In Genrebildern ist es hauptsächlich auf treffendste Charakte- 
ristik abgesehen, und der Haupteindruck hängt grossentheils davon 
ab. Also wird es, alles Uebrige gleich gesetzt, für diesen Eindruck 
am vortheilhaftesten sein, wenn mit allen andern Elementen der 
Wirklichkeit auch die G rösse derGegenstäinde genau getroffen ist. 
Ein Betteljunge von halber Grössc im Bilde wird uns so zu sagen 
nur halb als der vrirkliche Betteljunge erscheinen, als welcher er 
uns bei voller Grössc erscheint, und wird fodern, dass wir ihn in 
der Vorstellung erst in die wirkliche Grössc übersetzen, wovon die 
Unmittelbarkeit des Eindruckes immerhin etwas leidet. Mithin
	        
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