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wie jede Erkenntniss von Momenten und Gründen dessen, womit
wir zu schaffen haben, im Allgemeinen bei, den Geist zu klären
und zu läutern, sondern hat auch seine Rückwirkung auf die ästhe-
tische Empfindung selbst, sofern eine öftre Uebung, ästhetische
Vorzüge und Nachtheile zu erkennen, solche allmälig auch dem
Gefühle geläufig macht und ihre Wirkung von einem auf das andre
Werk überträgt. Ja man kann in der verstandesmässigen Beschäf-
tigung mit Kunstwerken selbst einen Genuss eigner Art finden, der
beim sog. Kenner sogar oft das Hauptbestimmende seines Inter-
esses für die Kunst ist. Und gewiss wird der sich länger durch
ein Kunstwerk unterhalten finden, der sich nicht blos passiv und
kritiklos dem Eindruck desselben hingiebt, sondern auch nach den
Gründen desselben und seiner Berechtigung fragt, indess freilich
der, Wer ohne die Basis eines rein und unbefangen in sich aufge-v
nommenen Eindruckes immer gleich analysirend und mäkelnd an
das Kunstwerk gehen will, nicht nur den Zweck der Kunst,
sondern auch den rechten Ausgangspunct kritischer Betrachtung
verfehlt.
Im Allgemeinen macht jedes Kunstwerk gleich beim ersten
Ueberblick einen gewissen Totaleindruck im Sinne vorwiegenden
Gefallens oder Missfallens, und zumeist, wenn schon nicht immer,
stimmt damit der Eindruck des letzten Blickes oder Bückblickes,
den wir auf das Werk Werfen, überein. Geht man nun an die
Analyse, so hat man vor Allem die Gründe der vorwiegenden
Richtung dieses ersten Eindruckes aufzusuchen, wodurch man am
natürlichsten in die Analyse des ganzen Werkes eingeführt wird,
_hat aber dabei nicht blos kritisch gegen das Werk sondern auch
gegen sich selbst zu verfahren. Jedes Kunstwerk bietet viele Sei-
ten und Gesichtspuncte der Betrachtung dar, und nicht leicht ist
Jemandes Geschmack so vielseitig und vollkommen ausgebildet,
dass er im ersten Ueberblick von Allem, was zum Totaleindruck
beizutragen hat, diesen Eindruck wirklich empfängt. Der Eine
sieht ein Bild zuerst und zumeist auf seine Farbestimmung, der
Andre auf den Stil, der Dritte auf die Schönheit oder den Ausdruck
der Figuren, der Vierte auf Geschick und Geist der Composition,
der Fünfte auf die gelungene Charakteristik, der Sechste auf den
Werth oder das Interesse der Idee, der Siebente auf die Vollendung
der Technik und der Achte auf die Gorrectheit an. Alles das hat im
Grunde zum Totaleindruck zusammenzuwirken, wirkt aber nicht