Vorstellung in höhere Gebiete als die der Wirklichkeit führen, in
welche sich eben nur mit der Vorstellung reisen lässt.
Und so ist es im Grunde müssig, dass sich Kunst und Natur um
ihrenVorzug undVortheilim Allg e m e i n e n streiten, wenn dochjede
der andern Vortheile nach gewissen Beziehungen einräumen muss.
Diese gilt es klar ins Auge zu fassen und richtig zu würdigen.
Sehen wir uns nun aber. weiter um, so werden wir allerdings
zuzugeben haben, dass es sich mit Musik und Architektur anders
verhält, als mit der bildenden Kunst und Poesie, sofern jene Künste
zu den Leistungen des kunstlosen Lebens neue Leistungen hinzu-
bringen, von denen dieses kein Aequivalent und kaum ein Ana-
logon bietet. Was wollen alle natürliche Höhlen und Lauben gegen
das einfachste Wohnhaus, und der Gesang der Nachtigall (abge-
sehen von seiner Einordnung in den Frühling) gegen den Gesang
einer klaren menschlichen Stimme sagen. Ja, indess die bildende
Kunst einen langen Weg der Entwickelung zu gehen hat, ehe sie
nur die gemeine Natur erreicht, übersteigen Musik und Archi-
tektur dieselbe von ihren ersten Schritten an; und so findet im
Grunde auch keine Rivalität zwischen dem natürlichen Leben und
diesen Künsten statt, weil jenes vom Anfange herein hinter diesen
zurückbleibt. Lassen wir also auch im Folgenden den Bezug darauf
bei Seite, um dafür das Verhältniss der bildenden Kunst zur Natur
noch aus einem andern Gesichtspuncte als bisher zu betrachten.
So wenig sich die Kunst in jeder Beziehung über die Natur zu
stellen hat, so wenig hat sie sich von ihr abzulösen, sondern eben
so in ihr fortgehends zu wurzeln, als Früchte für sie zu tragen.
Alle Regeln, welche die Kunst sich geben mag, sind ihr durch eine
Natur der Menschen und Dinge, die vor der Kunst da war und
ausser der Kunst besteht, vorgegeben; es gilt nur, sie in Beziehung
zum Zweck der Kunst rein und klar herauszuschälen. Alle Motive
und Formen hat die Kunst nicht nur ursprünglich aus der Natur
zu schöpfen, sondern auch fortgehends neue daraus zu schöpfen,
sonst erstirbt sie in Manier und conventionellem Wesen. Man ver-
urtheilt die reine Nachahmung der Natur durch die Kunst; aber
schlimmer ist die reine Nachahmung der Kunst durch die Kunst, vor
der eben nur ein immer neuer Rückgang zur Natur bewahrt.
Nicht, dass die Kunst immer ganz von Neuem aus der Natur
anzufangen hätte; dann würde sie immer mit gleicher Rohheit
anfangen. In der früheren Kunst liegt ein grosses Kapital, womit