Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 2)

Vorstellung in höhere Gebiete als die der Wirklichkeit führen, in 
welche sich eben nur mit der Vorstellung reisen lässt. 
Und so ist es im Grunde müssig, dass sich Kunst und Natur um 
ihrenVorzug undVortheilim Allg e m e i n e n streiten, wenn dochjede 
der andern Vortheile nach gewissen Beziehungen einräumen muss. 
Diese gilt es klar ins Auge zu fassen und richtig zu würdigen. 
Sehen wir uns nun aber. weiter um, so werden wir allerdings 
zuzugeben haben, dass es sich mit Musik und Architektur anders 
verhält, als mit der bildenden Kunst und Poesie, sofern jene Künste 
zu den Leistungen des kunstlosen Lebens neue Leistungen hinzu- 
bringen, von denen dieses kein Aequivalent und kaum ein Ana- 
logon bietet. Was wollen alle natürliche Höhlen und Lauben gegen 
das einfachste Wohnhaus, und der Gesang der Nachtigall (abge- 
sehen von seiner Einordnung in den Frühling) gegen den Gesang 
einer klaren menschlichen Stimme sagen. Ja, indess die bildende 
Kunst einen langen Weg der Entwickelung zu gehen hat, ehe sie 
nur die gemeine Natur erreicht, übersteigen Musik und Archi- 
tektur dieselbe von ihren ersten Schritten an; und so findet im 
Grunde auch keine Rivalität zwischen dem natürlichen Leben und 
diesen Künsten statt, weil jenes vom Anfange herein hinter diesen 
zurückbleibt. Lassen wir also auch im Folgenden den Bezug darauf 
bei Seite, um dafür das Verhältniss der bildenden Kunst zur Natur 
noch aus einem andern Gesichtspuncte als bisher zu betrachten. 
So wenig sich die Kunst in jeder Beziehung über die Natur zu 
stellen hat, so wenig hat sie sich von ihr abzulösen, sondern eben 
so in ihr fortgehends zu wurzeln, als Früchte für sie zu tragen. 
Alle Regeln, welche die Kunst sich geben mag, sind ihr durch eine 
Natur der Menschen und Dinge, die vor der Kunst da war und 
ausser der Kunst besteht, vorgegeben; es gilt nur, sie in Beziehung 
zum Zweck der Kunst rein und klar herauszuschälen. Alle Motive 
und Formen hat die Kunst nicht nur ursprünglich aus der Natur 
zu schöpfen, sondern auch fortgehends neue daraus zu schöpfen, 
sonst erstirbt sie in Manier und conventionellem Wesen. Man ver- 
urtheilt die reine Nachahmung der Natur durch die Kunst; aber 
schlimmer ist die reine Nachahmung der Kunst durch die Kunst, vor 
der eben nur ein immer neuer Rückgang zur Natur bewahrt. 
Nicht, dass die Kunst immer ganz von Neuem aus der Natur 
anzufangen hätte; dann würde sie immer mit gleicher Rohheit 
anfangen. In der früheren Kunst liegt ein grosses Kapital, womit
	        
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