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Gestalten auch zugleich die, anmuthigste Bewegung, den idealsten
Ausdruck haben, oder gerade vor dem Künstler präsentiren. Selbst
aber, wo der edelste Ausdruck, dessen die Natur fähig ist, sich in
einem nicht vollkommen schönen lebendigen Gesichte spiegelt,
wird die Kunst sich unfähig erklären müssen, gleiche WVirkung mit
ihren sta rren Mitteln zu erreichen.
Was von der menschlichen Schönheit, gilt nicht minder von
der landschaftlichen Schönheit. Der Künstler muss froh sein, wenn
es ihm glückt, Beispiele und Momente solcher Schönheit, wie sie
eine günstige Natur von selbst zu bieten vermag, annäherungs-
weise in abflachendem Scheine wiederzugeben; nur dass er den
Vortheil hat, nicht zwar als Lehrer sondern als Schüler der Natur,
schöne Scheine der Art auch selbst schaffen und verewigen zu
können. Es mag sein, dass eine Landschaft sehr selten so be-
schaffen ist, dass nicht der Künstler noch etwas ihr zusetzen, da-
von weglassen, darin modificiren oder moduliren möchte, um einen
möglichst einheitlichen und concentrirten vortheilhaften Eindruck
zu erzeugen; doch begegnet man mitunter Ansichten, von denen
man sich sagt, sie gäben, so wie sie sind, ein Bild; ja man fahn-
det Wohl auf Reisen nach solchen Ansichten. Wo aber die natür-
liche Landschaft dem Künstler zum Bilde nicht genug thut, ver-
mag sie nach Beziehungen, die dem Künstler ganz unzugänglich
sind, so viel darüber hinaus zu thun, dass es keine gemalte Land-
schaft giebt, deren Anblick dem, in Kunstinteressen nur nicht ganz
aufgehenden, Menschen eine lohnende Aussicht von einem Berge, eine
Aussicht auf das Meer in schöner Beleuchtung, bei aller Unfähigkeit
ein gutes Bild zu geben, ersetzen könntcWill man es nicht zugeben, so
frage man doch jemand, ob er lieber ein m al stehend am Golf von
Neapel die Landschaft, die sich da vor dem Blicke breitet, oder eben
so e i n m al die schönste Landschaft von Claude Lorrain oder Poussin
angesehen haben, oderauch lieberjene Landschaftimmer vor seinem
Fenster oder diese in seinem Zimmer haben möchte; würde er
nicht das Erste unbedingt vorziehen f? Wogegen er freilich vielleicht.
die Landschaft von Claude Lorrain lieber dauernd besitzen, als
den viel reichern und intensiveren Eindruck einer ähnlichen na-
türlichen Landschaft einmal vorübergehend haben möchte. Aber
das sind unvergleichbare Fälle. Jedenfalls gewährt die gemalte
Landschaft vor der wirklichen den Vortheil, wirklich besess en