Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 2)

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Gestalten auch zugleich die, anmuthigste Bewegung, den idealsten 
Ausdruck haben, oder gerade vor dem Künstler präsentiren. Selbst 
aber, wo der edelste Ausdruck, dessen die Natur fähig ist, sich in 
einem nicht vollkommen schönen lebendigen Gesichte spiegelt, 
wird die Kunst sich unfähig erklären müssen, gleiche WVirkung mit 
ihren sta rren Mitteln zu erreichen.  
Was von der menschlichen Schönheit, gilt nicht minder von 
der landschaftlichen Schönheit. Der Künstler muss froh sein, wenn 
es ihm glückt, Beispiele und Momente solcher Schönheit, wie sie 
eine günstige Natur von selbst zu bieten vermag, annäherungs- 
weise in abflachendem Scheine wiederzugeben; nur dass er den 
Vortheil hat, nicht zwar als Lehrer sondern als Schüler der Natur, 
schöne Scheine der Art auch selbst schaffen und verewigen zu 
können. Es mag sein, dass eine Landschaft sehr selten so be- 
schaffen ist, dass nicht der Künstler noch etwas ihr zusetzen, da- 
von weglassen, darin modificiren oder moduliren möchte, um einen 
möglichst einheitlichen und concentrirten vortheilhaften Eindruck 
zu erzeugen; doch begegnet man mitunter Ansichten, von denen 
man sich sagt, sie gäben, so wie sie sind, ein Bild; ja man fahn- 
det Wohl auf Reisen nach solchen Ansichten. Wo aber die natür- 
liche Landschaft dem Künstler zum Bilde nicht genug thut, ver- 
mag sie nach Beziehungen, die dem Künstler ganz unzugänglich 
sind, so viel darüber hinaus zu thun, dass es keine gemalte Land- 
schaft giebt, deren Anblick dem, in Kunstinteressen nur nicht ganz 
aufgehenden, Menschen eine lohnende Aussicht von einem Berge, eine 
Aussicht auf das Meer in schöner Beleuchtung, bei aller Unfähigkeit 
ein gutes Bild zu geben, ersetzen könntcWill man es nicht zugeben, so 
frage man doch jemand, ob er lieber ein m al stehend am Golf von 
Neapel die Landschaft, die sich da vor dem Blicke breitet, oder eben 
so e i n m al die schönste Landschaft von Claude Lorrain oder Poussin 
angesehen haben, oderauch lieberjene Landschaftimmer vor seinem 
Fenster oder diese in seinem Zimmer haben möchte; würde er 
nicht das Erste unbedingt vorziehen f? Wogegen er freilich vielleicht. 
die Landschaft von Claude Lorrain lieber dauernd besitzen, als 
den viel reichern und intensiveren Eindruck einer ähnlichen na- 
türlichen Landschaft einmal vorübergehend haben möchte. Aber 
das sind unvergleichbare Fälle. Jedenfalls gewährt die gemalte 
Landschaft vor der wirklichen den Vortheil, wirklich besess en
	        
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