Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 2)

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Christus, Maria, Engeln und Heiligen herzustellen, muss vielmehr 
der Kunst hierin wirklich einen Vorrang lassen; doch ist es viel- 
mehr der Vorrang einer gedankenmässig angestrebten als einer 
anschaulich erreichten Höhe, vielmehr ein Ueberflattern als Ueber- 
fliegen der Natur; und so viel die Kunst an Höhe darüber hinaus 
gewinnt, verliert sie an Kraft.  
Um der Schönheit der wirklichen Helena willen ward Troja 
zerstört; mit allem Aufwande der Idealisirung und Stilisirung 
hätte ein Porträt oder eine Statue von ihr das nicht zuwege ge- 
bracht; ja, war Helena einmal die schönste der Frauen, so konnte 
das Gemälde, die Statue nicht einmal ihre Farbe und Gestalt schö- 
ner wiedergeben, als die Wirklichkeit sie gab, und musste Alles 
Weglassen, was, mit der Farbe und Gestalt zusammenwirkend, 
den überwältigenden Eindruck auf ein Heldenvolk zu machen ver- 
mochte. Nur gegen die nicht vollkommen schönen Frauen der 
Wirklichkeit ist das Gemälde freilich in Vortheil dadurch, dass es 
ihre Leberflecken, ihre Pockengruben Weglassen, das Roth ihrer 
Wangen, das Feuer ihrer Augen erhöhen, ihren Zügen Begelmässig- 
keit verleihen, Geist und Leben einhauchen und uns dadurch in 
Gestalt und Farbe das Ideal einer schönen Frau bleibend darstellen 
kann, was die Wirklichkeit, obwohl dessen an sich nicht unfähig, 
doch fast immer uns darzubielen verweigert, oder nur vorüber- 
gehend darhietet. Wie denn überhaupt die höchstmögliche natür- 
liche Schönheit des Menschen das Ideal der Kunstschönheit ist. 
Denn nicht das ist principiell der schönste Mensch, welcher der 
schönsten griechischen Statue am ähnlichsten ist, sondern das ist 
die schönste Statue, welche dem schönsten Menschen, den die 
Wirklichkeit hervorzubringen vermöchte, am ähnlichsten ist. 
Erinnern wir in dieser Beziehung in folgender Einschaltung 
an einige Beispiele, welche unserm Ungehorsam gegen das idea- 
listische Verbot, natürliche Schönheit, an deren Erzeugung der 
ltlenschengeist nichts gethan, so schön als Kunstschönheit zu fin- 
den, zu Hülfe kommen.   
nDlB erhabene Schönheit des Demetrius Poliorcetes konnte, wie es bei 
_Plutarch in dessen Leben heisst, weder von den Malern noch von den Bild- 
hauern seiner Zeit erreicht werden, ungeachtet dazumal die grössten Künstler 
lebten.  Athenäus sagt, dass Apelles seine Venus, die aus dem Meere 
steigt, nach der Phryne, als sie an dem Feste, das dem Neptun zu Ehren ge- 
halten wurde, entkleidet ins Meer gestiegen, geschildert habe; und Arnobius
	        
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