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nen höher stehen als die Natur und ihre Erscheinungen. Und die.
Welt scheint damit, dass sie wirklich für einen gemalten Esel mehr
als für einen wirklichen bezahlt, Hegel Recht zu geben.
Dabei darf manfreilich nicht vergessen, dass in die Preisbe-
stimmung einer Sache die Seltenheit oder Schwierigkeit der Be-
Schaffung abgesehen vom Werthe derselben wesentlich mit als
Factor eingeht. Wenn es eine Million gut gemalter Esel gäbe, hie-
gegen nur einen oder ein paar gute wirkliche Esel, statt dass jetzt
das umgekehrte Verhältniss statt flndel, so würde sich das Preis-
verhäiltniss ganz anders stellen, als es der Schah von Persien gefun-
den hat, und möchten danach die wirklichen Esel wirklich deshalb
höher bezahlt werden, Weil man darauf reiten kann. Nun aber
trägt der Umstand, dassKunstwerke allgemein gesprochen seltener
sind, als entsprechende Naturgegenstände, selbst wesentlich zu
der gemeinhin statt findenden Ueberschätzung der Kunst gegen die
Natur bei.
Im Grunde wird jeder zugeben, dass sich ohne Kunst aber
nicht ohne Natur leben lässt. Und dass überhaupt die Natur der
Kunst im Ganzen an Nützlichkeit voransteht, darüber lässt
sich eigentlich nicht streiten; sondern nur darüber, ob und inwie-
fern es die Natur der Kunst auch an Sch ön heit gleich thun oder
gar sie darin übertreffen könne. In dieserVBeziehung mögen Viele
den Vortheil eben so selbstverständlich und unbedingt auf Seiten
der Kunst finden. Doch liegt er nach unbefangener Betrachtung
nicht in jeder Beziehung so.
Vielmehr so sehr die Leistungen der Kunst durch die R ein-
h eit und Höhe der Befriedigung, die sie unmittelbar zu erwecken
vermögen, die gewöhnlichen Naturleistungen überbieten und
ihrem Princip nach überbieten müssen, weil sie auf dieses Ueber-
bieten gerichtet sind, so vermag hingegen die kunstlose Wirklich-
keit, die wir der Kunst gegenüber Natur nennen, ausnahms-
weise nicht nur die höchsten Kunstleistungen in menschlicher
und landschaftlicher Schönheit zu erreichen, sondern auch wäh-
rend die Kunst nur diese oder jene Seite des Seins, Lebens, Wir-
kcns auf einmal zu höchster Vollendung gesteigert bieten kann,
ausnahmsweise alle zur günstigstmöglichen Wirkung zu vereini-
gen, und dadurch die Kunst zugleich anKraft und Fülle der
Wirkungen weit zu übertreffen. Mit all' dem vermag sie freilich
keine Cornpositionen von höherem idealen Charakter aus Gott,
Fech ner, Vorschule d. Aestlietik. II. l 0