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man das Atelier nicht zu verlassen, denn die Maschinerie zu sol-
chen Darstellungen findet sich schon in früheren Bildern und in
Gostümbüchern. Also hat Rahls Regel jedenfalls den Vortheil der
Bequemlichkeit für den Maler.
Inzwischen haben wir damit, dass wir den Realismus histo-
rischer Darstellungen Rahl gegenüber vertraten, doch den Idealis-
mus in Rahls Sinne nicht überhaupt verwerfen wollen. Es gilt
nur, anstatt ihn einseitig zu predigen, ihm seine rechte Stelle an-
zuweisen. Er wird sie mit grösstem Vortheil da finden, wo der
Maler den Stoff für seine Darstellung vielmehr aus der Dichtung
oder Sage, als Geschichte schöpfen muss; überhaupt weder die
Unterlagen für eine treue Darstellung noch ein Interesse an solcher
vorfindet, Puncte, die im Allgemeinen zusammentreffen. Eine
Amazonenschlacht, einen Kampf aus dem trojanischen Kriege kann
der Maler nur dichterisch frei behandeln, weil die Geschichte selbst
sich hier in Dichtung verläuft, und eine Zerstörung Jerusalems
kann trotzdem, dass sie historisch ist, nicht historisch treu vom
Maler wiedergegeben werden, weil die Anschauung dazu fehlt, die
Nachrichten dem Maler keinen hinlänglichen Anhalt bieten, und eine
möglichst treue Vorführung keinem Interesse beidem, jenemEreig-
niss fern stehenden, Publicum begegnen Würde. Also ist es in der Ord-
nung, wenn hier überhaupt kein Hauptgewicht auf die Befriedigung
eineslnteresses an realistischer Wahrheit gelegt wird, was sich doch
nurunvollständig befriedigen lässt, indess man wohl versuchen kann,
ein wirksames Motiv für Darstellung einer allgemeinen welthisto-
rischen Idee daraus zu machen, wie von Kaulbach geschehen. Da-
bei wird dann im Sinne der Betrachtungen S. 64 vielmehr auf den
geläufigen und durch die Kunst selbst geläufig gemachten Vorstel-
lungen von den Trägern solcherldeen, als aufStudien über die wirk-
lichen Physiognomien und Trachten der alten Juden und Römer zu
fussen sein. In dieser Hinsicht ist unstreitig selbst der Realismus
eines Vernet zu Weit gegangen, wenn er das Resultat der wirklich
von ihm angestellten Studien, dass die alten Juden im Allgemeinen
und bis in viele Particularitäten hinein wie die heutigen Araber
ausgesehen, gekleidet gewesen, sich benommen, dahin verwerthet
hat, die Patriarchen, Propheten und biblischen Persönlichkeiten
überhaupt als braune Araber darzustellen. Was hat er damit ge-
wonnen und was ist damit gewonnen"? Er tritt damit aus unsern
geläufigen Vorstellungen heraus und befriedigt blos ein der Kunst