Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 2)

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Leistungsfähigkeit, nicht aber den Begriff nach seiner Leistungs- 
fähigkeit zu untersuchen; und sollte sich ein Werk schaffen lassen, 
was unter keine der unterschiedenen Künste ganz unterzubringen 
ist, indess es doch dem allgemeinen Zweck der Kunst genügt, so 
hätte man nur einen Gewinn darin zu sehen. Freilich besteht die 
Voraussetzung, dass die Entwickelung der Kunst durch Jahrtau- 
sende schon zu Normen und Schranken geführt hat, welche zu 
sehr in der Natur der Menschen und Kunstrnittel begründet sind, 
um gefahrlos verlassen zu werden, und dass diese in der bisheri- 
igen Abgränzung der Künste gegen einander ihren Ausdruck gefun- 
den haben; aber wäre es so, so könnte. uns doch der vorgegebene 
Begriff einer Kunst nichts zu dieser Einsicht helfen. 
Von Manchen wird in einer obersten Zweitheilung der Künste 
die Poesie allen andern Künsten als die allgemeinste gegenüber 
oder übergestellt. Auch kann sie gewisse Ansprüche in dieser 
Hinsicht erheben, sofern sie einerseits durch den directen Wohllaut 
und Tact des Verses ein gemeinsames Element mit der Musik ge- 
winnt, anderseits in den Vorstellungen, die sich an die Worte 
knüpfen, die durch sämmtliche übrige Künste erweckbaren Vor- 
stellungen bis zu gewissen Gränzen reproduciren kann. Wenn 
man inzwischen gesagt hat, dass jede Kunst nur in so weit Kunst 
sei, als Poesie darin enthalten sei, so kann man mit dieser Poesie 
nur ein Abstractum aus der wirklichen Kunst der Poesie meinen, 
und was in diesem Ausspruche treffend ist, dürfte darauf hinaus- 
laufen, dass eben so wie der wesentliche Eindruck der Poesie auf 
AssociationsVorstellungen dessen, was den Menschen und über- 
hanpt fühlende Wesen interessiren kann, an ein sinnliches Ma- 
terial beruht, diess_vou jeder Kunst gelten solle, trifft aber bei 
Werken der Musik weniger zu als bei Werken der bildenden 
Kunst, sofern die Musik nach schon früher (im 43. Abschn.) ge- 
pflogenen Erörterungen wesentlicher durch direkten Eindruck 
melodischer und harmonischer Beziehungen als angeknüpfte Vor- 
stellungen zu wirken hat. Daher findet man auch die Forderung, 
einen poetischen Eindruck zu machen, seltener auf musikalische 
Kunstwerke als Werke der bildenden Kunst angewandt. Viele 
kunstlose Töne sind sogar aus diesem Gesichtspuncte bei viel ge- 
ringerer ästhetischer Bedeutung doch_poetischer als die Sonate und 
Symphonie, z. B. der Klang eines Posthorns, eines Alphorns, das 
Glockengelaute der Herden in den Bergen, der Gesang einer Nach-
	        
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