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herab, wo die Vorstellung überhaupt nicht mit einer Idealisirung
vorangeht, auf Grund der missverstandenen Rede, die Kunst solle
uns in ein höheres Reich über die Wirklichkeit erheben. So sieht
man hier und da gemalte Volksscenen aus der Profangeschichte
oder dem profanen Leben, wo alle Gesichter schön, alle Stellungen
anmuthig, alle Kleider neu, harmonisch in Farbe und von gewähl-
tem Faltenwurfe sind, oder wo es wenigstens mehr der Fall ist,
als dass wir eine Volksscene darin wiederfinden könnten; und es
giebt Personen, welche Gefallen an solchen Darstellungen finden,
ohne freilich wirklich in ein höheres Reich dadurch gehoben zu
werden; denn das vorgespiegelte Reich ist unmöglich, und es ist
unmöglich, sich hinein zu versetzen. Der Maler selbst hat sich
nicht hineinversetzt, und die schönen anmuthigen Gestaltenin den
allgemeinen Rahmen, den die Idee gezogen, vielmehr hineingesetzt,
als aus ihr heraus entwickelt; und wie er sie einzeln nach einem
allgemeinen Schönheitssohema hineingesetzt hat, halten sich die
Beschauer an das Einzelne oder finden sich im Allgemeinen
und in unbestimmter Weise durch die Menge von Schönheit be-
rauscht, die sie hier auf einmal zusammen sehen, indess sie
in der Wirklichkeit lange auch nur nach einer einzigen Probe
davon suchen könnten. Aber der Gewinn! des Gefallens, den sie
hievon haben, wird durch den Verlust überboten, den sie bei
andern Kunstwerken dadurch erleiden, dass ihnen die höhere
Schönheit, die aus der inneren Zusammenstimmung alles Einzel-
nen zur Idee des Ganzen hervorzuleuchten und durch den Ein-
druck der Wahrheit Kraft zu gewinnen vermag, verloren geht. Ein
richtiger Sinn, der sich diesen Gewinn wahrt, wird durch
die Untreue jener Darstellungen mehr verletzt, als durch die ge-
häufte Wohlgefälligkeit des Einzelnen erfreut.
Die schönen reizenden Gestalten und Stellungen sind uns ja
darum nicht verloren , dass wir sie nicht am falschen Orte ange-
bracht sehen. Nicht nur dass wir sie in Darstellungen aus jenem
idealen Gebiete suchen und finden können, so entbehrt auch
die Wirklichkeit selbst ihrer nicht; man muss nur die Gelegen-
heiten aufsuchen, wo sie vielmehr in die Wahrheit der Idee hinein-
treten als aus ihr heraustreten.
So mag auch in einer Bauernhochzeit die Braut als ein hüb-
sches Mädchen dargestellt werden; denn warum dem Maler zu-
muthen, vielmehr eine Hochzeit mit einer garstigen als hübschen