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dass es in massvoller Weise und ohne so tiefgreifende Schädigung
der Charakteristik geschehe, wie man zu linden gewohnt ist. Wir
stellen uns ja die alten Juden, die in den biblischen Geschichten
spielen, gar nicht mit den Gesichtern der heutigen gemeinen Juden
vor, schon desshalb nicht, weil die Maler uns gewöhnt haben es
nicht zu thun ; aber auch wohl desshalb nicht, weil der Charakter
der Heiligkeit jener Geschichten sich für uns in gewisser Weise auf
das darin lebende und webende Volk im Ganzen reflectirt. Umge-
kehrt trägt die, in veredeltem Typus gehaltene, Darstellung des
ganzen Volkes dazu bei, Darstellungen, deren Hauptabsicht und
Hauptinteresse gar nicht in charakteristischer Darstellung der uns
umgebenden Wirklichkeit zu suchen ist, über den Eindruck einer
solchen zu erheben und eine höhere Stimmung zu begünstigen.
Und wenn eine anthropologische Wlahrscheinlichkeit besteht, dass
die gemeinen Juden vor Alters doch wie die Mauschels von heute
ausgesehen haben, so hat sich nach einer schon früher (S. 64) ge-
machten Bemerkung der Künstler nicht um die wissenschaftliche,
sondern um die herrschende Vorstellung derer, auf die er zu wir-
ken hat, zu kümmern.
Aber mit all' dem sind die Nachtheile solcher Idealisirung
nicht gehoben, nur durch Vortheile überboten; und man braucht
nur so ins Bodenlose mit der Idealisirung zu gehen, als man oft
gegangen sieht, so überwinden die Nachtheile und nimmt die höhere
Stimmung, die man etwa noch dadurch erweckt linden kann, den
Charakter einer solchen an, wie sie durch eine Rede in schönen
Phrasen erweckt wird, so lange man dem Sinne nicht auf den
Grund geht.
Hier, wie überall, wo ästhetische Vortheile und Nachtheile
mit einander streiten, lässt sich eine feste Gränze des Rechten
nicht ziehen, immer wieder haben wir hierauf zurückzukom-
men und muss man eine gewisse Breite zugestehen. Kann ich
nun meinen Geschmack, der in der heutigen idealistischen Kunst,
Alles in Allem genommen, zu viel nach dem einen Extrem nei-
gende Schablone findet, nicht Andern aufdringen wollen, so dürf-
ten doch mit Vorigem die Vortheile und Nachtheile, die man hiebei
abzuwägen hat, richtig bezeichnet sein; mag man sie immerhin in
Würdigung der heutigen Kunstleistungen anders abwägen, als
meiner eigenen Empfindung entspricht.
Nun aber geht man mit der Idealisirung oft sogar in Gebiete