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rischer Wahrheithervor; Christus sitzt da im Freien, in natürlichster
Haltung, in grobem, nachlässig fallenden, keine Stilprätension ver-
rathenden und doch nicht stillosen, Gewande, sein Gesicht nach
einem alten edlen Typus profilirt, den zugleich ernsten, festen und
milden Blick auf das vor ihm stehende Kind von plumper Form
gerichtet, dem er die Rechte auf das Haupt legt, indess er es mit
der Linken am Arme hält, damit es nicht davon laufe denn
weit entfernt, die Bedeutung dessen, was mit ihm geschieht, zu
errathen, wendet es sich, scheu seitwärtsschielend, und steckt
maulend den Finger in den Mund, nicht wissend, was der fremde
Mann mit ihm will, dem es von seiner Mutter zugeschoben wird.
Eine andre hinten stehende Frau hebt ihr Kind, um es in den Be-
reich Christi zu bringen, wie einen Ballen über eine halb bei Seite
geschobene Nachbarin, die sich unwirsch danach umsieht, u. s. w.
In keiner Figur giebt sich eine Spur des Bewusstseins der höheren
Bedeutung der Ceremonie zu erkennen; die Frauen wollen nur
ihren Kindern eine vor der andern die Segnungen einer wunder-
thätigen Hand zukommen lassen; eine sieht dumm oder neugierig
-dem Schauspiele zu. Christus allein weiss, was er thut, und er-
scheint als solcher, der weiss, was er thut.
Und war das nicht wirklich die hocherhabene und zugleich
tragische Stellung, die Christus zu einem Volke einnahm, das erst
Hosianna und dann Kreuzige ihn schrie; und tritt Wohl dieselbe
bei den gewöhnlichen idealistischen Darstellungen derselben Scene
in gleich scharfes Licht.
Doch bin ich weit entfernt, dieser Auffassungs- und Darstel-
lungsweise der Scene in jeder Hinsicht das Wort zu reden; son-
dern habe ihrer blos gedacht, weil sie in gewis ser Beziehung
den idealistischen den Bang abläuft. Im Ganzen hat sie sogar,
etwas Abstossendes. Denn erbaut kann man sich doch nur von
dem Verhältnisse Christi zu dem Volke in diesem Bilde finden;
das Gegentheil der Erbaulichkeit liegt in dem Verhältnisse des
Volkes zu Christus, und dieses wenig erbauliche Verhaltniss in
ganz genrehafter Weise darzustellen, kann keinem Bedürfnisse
entsprechen, was die religiöse Kunst als solche zu befriedigen hat.
Auch war es ja nicht nöthig, die Mütter, dietihre Kinder zu Christus
bringen, als Repräsentanten der Masse des gemeinen Volkes dar-
zustellen; sie konnten einem edleren Theile des Volkes entnom-
men werden; und aus religiösem Gesichtspuncte kann es sich über-