Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 2)

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rischer Wahrheithervor; Christus sitzt da im Freien, in natürlichster 
Haltung, in grobem, nachlässig fallenden, keine Stilprätension ver- 
rathenden und doch nicht stillosen, Gewande, sein Gesicht nach 
einem alten edlen Typus profilirt, den zugleich ernsten, festen und 
milden Blick auf das vor ihm stehende Kind von plumper Form 
gerichtet, dem er die Rechte auf das Haupt legt, indess er es mit 
der Linken am Arme hält, damit es nicht davon laufe  denn 
weit entfernt, die Bedeutung dessen, was mit ihm geschieht, zu 
errathen, wendet es sich, scheu seitwärtsschielend, und steckt 
maulend den Finger in den Mund, nicht wissend, was der fremde 
Mann mit ihm will, dem es von seiner Mutter zugeschoben wird. 
Eine andre hinten stehende Frau hebt ihr Kind, um es in den Be- 
reich Christi zu bringen, wie einen Ballen über eine halb bei Seite 
geschobene Nachbarin, die sich unwirsch danach umsieht, u. s. w. 
In keiner Figur giebt sich eine Spur des Bewusstseins der höheren 
Bedeutung der Ceremonie zu erkennen; die Frauen wollen nur 
ihren Kindern eine vor der andern die Segnungen einer wunder- 
thätigen Hand zukommen lassen; eine sieht dumm oder neugierig 
-dem Schauspiele zu. Christus allein weiss, was er thut, und er- 
scheint als solcher, der weiss, was er thut. 
Und war das nicht wirklich die hocherhabene und zugleich 
tragische Stellung, die Christus zu einem Volke einnahm, das erst 
Hosianna und dann Kreuzige ihn schrie; und tritt Wohl dieselbe 
bei den gewöhnlichen idealistischen Darstellungen derselben Scene 
in gleich scharfes Licht. 
Doch bin ich weit entfernt, dieser Auffassungs- und Darstel- 
lungsweise der Scene in jeder Hinsicht das Wort zu reden; son- 
dern habe ihrer blos gedacht, weil sie in gewis ser Beziehung 
den idealistischen den Bang abläuft. Im Ganzen hat sie sogar, 
etwas Abstossendes. Denn erbaut kann man sich doch nur von 
dem Verhältnisse Christi zu dem Volke in diesem Bilde finden; 
das Gegentheil der Erbaulichkeit liegt in dem Verhältnisse des 
Volkes zu Christus, und dieses wenig erbauliche Verhaltniss in 
ganz genrehafter Weise darzustellen, kann keinem Bedürfnisse 
entsprechen, was die religiöse Kunst als solche zu befriedigen hat. 
Auch war es ja nicht nöthig, die Mütter, dietihre Kinder zu Christus 
bringen, als Repräsentanten der Masse des gemeinen Volkes dar- 
zustellen; sie konnten einem edleren Theile des Volkes entnom- 
men werden; und aus religiösem Gesichtspuncte kann es sich über-
	        
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