Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 2)

wenn die ungeheure Abstufung zwischen Licht und Schatten, die 
uns die Wirklichkeit bietet, in wenigen lichten Tönen wiederge- 
geben werden soll; das Licht kommt doch nur durch den 
Schatten recht zur Geltung. Zu dem Abstande zwischen dem 
Hohen und Niederen vermissen wir aber zweitens die Mannich- 
faltigkeit, die wir gewohnt sind zwischen Persönlichkeiten der- 
selben niederen Stufe zu sehen, da alle auf die höhere Stufe hin- 
aufgerückt sind, und diess widerstrebt uns nicht nur als eine Na- 
turwidrigkeit, sondern ermüdet uns auch durch Monotonie. Die 
Gesichter werden uns fast gleichgültige Nullen. Nun kann man 
sich allerdings durch die Schönheit aller einzelnen Figuren mit der 
Variation, welche das ideale Gebiet noch gestattet und die nament- 
lich in Stellungen und Bewegungen nach dem S. 95 besprochenen 
Stilprincip möglichst ausgebeutet wird, für diese Nachtheile in ge- 
wisser Weise entschädigt finden; man schwimmt so zu sagen in 
einem Elemente reiner Schönheit, welches seine Wellen nur so 
weit schlägt, dass deren Gräinzen nie überschritten werden. Aber 
man kann nicht leugnen, dass dieses Schwimmen unter immer 
gleichem Wellenschlage auf die Länge in die Gefahr geräth, lang- 
weilig zu werden. 
In einem Urtheile über den bekannten Genremaler Knaus de) 
las ich einmal: tDie Figuren von Knaus und namentlich seine 
Köpfe sind bis in die scheinbar zufälligsten Nuancen so prägnant 
und charakterwahr, dass sie fast immer den Eindruck machen, als 
müsse man diese Physiognomieen irgendwo schon gesehen habent 
Es ist wahr und man wird dasselbe bei den Figuren jedes guten 
realistischen Bildes Wiederfinden. Aber wohl zu merken: man 
wird den Eindruck haben, als ob man jedes Gesicht irgendwo 
einmal im Leben und niemals in der Kunst gesehen habe, wo- 
gegen man bei den hessten idealistischen Bildern umgekehrt den 
Eindruck hat, als habe man dasselbe Gesicht niemals im Leben 
und hundertmal in der Kunst gesehen. 
Bis zu gewissen Gränzen liegt das nun freilich in der Natur 
der Sache, und so weit es der Fall ist, wer will es tadeln. Das 
ideale Gebiet giebt eben an sich keine grosse Mannichfaltigkeit her; 
und indem der idealistische Künstler in der Natur Vorbilder, wie 
er sie braucht, überhaupt nicht findet, kommt er von selbst dazu, 
Dipskuren. 
4364. 
382,
	        
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