Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 2)

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Darstellungen dieser Art entbehren zwar nicht überhaupt der 
unterscheidenden Gkarakteristik; es wird das Weib, der Mann, die 
Jugend, das Alter, die Freude, die Anmuth, die Würde, der Zorn, 
die Zuneigung Alles noch seinen eigenthümlichen Ausdruck haben, 
aber Alles sich doch in gewisse allgemeine ideale Typen verlaufen, 
die nicht nur zwischen verschiedenen Bildern, sondern oft in dem- 
selben Bilde mit grösster Annäherung wiederkehren. Denn der in 
der Realität weit ausgebreitete Kreis individueller menschlicher 
Gestaltungen, Ausdrucksweisen zieht sich im Aufsteigen zum 
idealen Schönheits- und Kunstgebiete immer enger susammen und 
wird auf dem Gipfel zu einem sehr engen Kreise. Es ist so zu 
sagen ein kleines Bund, in dem sich alle antiken Idealgestalten 
Jusammendrängen. Die neuern treten als abhängig davon in 
dasselbe mit hinein oder nur wenig darüber hinaus; insofern es 
aber der Fall ist, steht die Ausweichung unter dem Einfluss der 
Individualität des Künstlers und verähnlicht seine Figuren noch 
von einer andern Seite. Man sehe die Darstellungen von Raphael, 
Cornelius, Overbeck, Schnorr, Genelli u. s. W. an, und man wird es 
bestätigt finden. Ja die meisten idealistischen Maler haben so zu sagen 
nur ein Gesicht beziehentlich für jedes Alter, jedes Geschlecht, 
jeden Stand, jede Nationalität, welches sie in in dieser oder jener 
Gemüthsbewegung, wofür sie dann auch ihren stehenden Typus 
haben, oder in dieser oder jener andern Wendung darstellen, und 
die Figuren eines ganzen Volkes gleichen sich hienach in vielen 
Bildern mehr, als sich die Glieder einer Familie zu gleichen pflegen. 
Im Allgemeinen liegen einem idealistischen Maler bestimmte Ge- 
sichter eben so im Handgelenke, wie bestimmte Buchstaben einem 
Schreiber; und so erhält man eine Art kalligraphischer Menschen- 
schrift von der Hand des Künstlers, die sich wie jede kalligra- 
phische Schrift gut ausnimmt aber wenig Charakter hat, und in 
der man meist die Vorschrift wiedererkennt. Hieran aber hängt 
mehr als e in Uebelstand. 
Um das Hohe zu messen, bedarf es des Niedern als Elle; 
wenn aber in einem Bilde, worin Christus mit einem Haufen-Ju- 
denvolks oder Gott mit menschlichen Persönlichkeiten zugleich 
auftritt, schon in den untergeordneten Personen so ziemlich das 
Mögliche der Idealisirung geleistet ist, wie man nicht selten findet, 
was veranschaulicht dann noch die Höhe Christi oder der gött- 
lichen Person"? Wir haben in solchen Bildern etwas Analoges, als
	        
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