wie man öfters zu meinen scheint, der Künstler könne die Wirk-
lichkeit darin überbieten, dass er durch die Kraft seines Geistes
Züge aus verschiedenen Daseinsmomenten der Person zur Charak-
teristik combinirt, Welche sich von Natur nicht so zusammenüxiden
k ön ne n, oder eine Resultante von dem auf einmal geben, was in
Wirklichkeit n ur nach einander vorkommen kann, und hi ed u rc h
den Charakter treuer, prägnanter, die Person. sich selbst ähnlicher
darstellen, als es die Natur selbst vermag, so ist es zwar leicht,
der Kunst diess zuzumuthen, aber es liegt eine Unmöglichkeit vor,
diese Zumuthung zu erfüllen, und nur klar zu machen, wie sie zu
erfüllen sei.
Wenn nun schon dem Künstler die Person, die er darzu-
stellen hat, nur zufällig in einem darstellungswerthen Momente
und nicht leicht in dem darstellungswerthesten begegnet, so ist
diess noch Weniger bei dem Photogra phen (und Daguerreoty-
pisten) der Fall, und das erklärt den Vorzug des guten Portrait vor
der Photographie. Die Photographie giebt den lllenschen, wie ihn
der Photograph stellt oder wie er sich selbst dem Photographen
stellt, kurz meist in einer erkünsteltcn Lage mit erkünsteltem oder
alles Interesses baarem Ausdrucke, und so kann es freilich leicht
kommen, dass das Porträt dem Menschen ähnlicher erscheint als
die Photographie. Dolch sieht man mitunter photographische Bilder
namentlich von Frauen mit unhefangenem ruhigem Ausdrucke und
in natürlicher Haltung, die es, abgesehen von manchen techni-
schen Unvollkommenheiten der Photographie, mit dem bessten
Portrait aufnehmen können; aber es sind Zufälle und die Kunst
soll den günstigsten Zufall zur Regel erheben. Die Kunstenthusi-
asten werden diess nicht zugeben; aber es ist so.
Interessant war mir folgendes Zugeständniss, was der lactisehe Eindruck
eines Daguerreotyps dem geistreichen Hauptmann in-s. Briefen an Hauser
(Il. 8-1) ganz in Widerspruch mit seiner theoretischen Ansieht abgedrungen,
in deren Ausdruck man die herrschende Ansicht wiedererkennt.
nleh bin nichts weniger als ein Freund vom Daguerreotyp; aber wir
haben jetzt ein Portrait von unserm Helenchen, das ist stupend; man kann's
nicht genug ansehen, und es ist eben wie eine Zeichnung in höchster Vollen-
dung. Eigentlich hätte die Daguerreotypie ihre Bestimmung erst in Nach-
bildung von Kunstsachen, von Bildern, nicht nach der Natur. Das Kunst-
bild eines guten Malers, das uns die ganze Natur eines Menschen darstellt
[aber kann es das? ist wahrer als das Daguerreotyp, das nur den Aus-
druck eines einzelnen durch allerlei Zufälliges bedingten Silzungsmomentes
festhält, und es für das Bild des ganzen Menschen ausgeben willß u. s. w.