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leichter Faltenwurf verdanken im Allgemeinen solchen Gründen
ihre Wohlgefälligkeit. Wie wundervoll ist auch in diesen Be-
ziehungen die Sixtina. Man glaubt schon in dem Sohwunge des
Gewandes der Madonna, der massiven Schwere des Kleides des
Sixtus, und der Weise, wie sich das Kleid der heiligen Barbara
zusamniennimmt, die Höhe, die Würde, die Demuth dieser Perso-
nen zu erkennen.
Die Gesammtheit von all' dem aber, was so zum Gefallen an
einem Faltenwurfe beiträgt, ist es, was sich unklar im Ausdrucke
eines schönen Rhythmus desselben zusammenfasst. Denn um sich
zu überzeugen, wie wenig dabei auf einen directen, so zu sagen
musikalischen Reiz, den man bei jenem Ausdruck im Auge zu
haben pflegt, zu rechnen, braucht man sich das Kleid mit dem
schönsten Faltenwurfe blos abgezogen von aller Beziehung zum
Menschen als reines Ding für sich vorzustellen, was doch so
schwer nicht sein kann sich etwa zu denken, man fände ein
solches Ding auf dem Felde gewachsen, und sich zu fragen, ob
man an den rein anschaulichen Verhältnissen desselben noch Ge-
fällen finden wurde; Womit nicht geleugnet, vielmehr oben aus-
drücklich zugestanden ist, dass diese doch einesfalls günstiger lie-
gen können als andernfalls, wonach das Hülfsprincip sie mit zur
vortheilhaften Geltung bringen kann.
Auch die Verzierungen bieten ein sehr ausgedehntes Feld für
die Stilistik nach beiden Seiten des Stils zugleich dar, sofern sie
zugleich bezeichnend und schmückend wirken können, und ge-
währen hiemit eine Fülle von Beispielen zur Erläuterung der allge-
meinen Stilregeln; doch lassen wir ihre Betrachtung hier bei Seite,
um vielleicht anderwärts darauf zurückzukommen.
XXVII.
Idealisiren.
Auch bei der Idealisirungvhaben wir von verschiedenen Auf-
fassungen und Wendungen des Begriffes zu sprechen, zwischen
denen man vielmehr sich willkürlich zu entscheiden, als klar ans-
cinander zu setzen liebt.