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"im Ganzen genommen ist das Werk kein eigentlich coloristi-
sehes Bild. Es fehlt ihm hiezu die einheitliche malerische Gesammthal-
tnng, eine wohlthuende Gliederung und Abstufung der Luft- und Schatten-
massen und vor Allem jene volle Farbengluth und Farbenseligkeit, welche
die grossen Maler alter wie neuer Zeit als Merkmal der höchsten Meisterschaft
an der Stirne tragen, es fehlt ihm desshalb auch der unwiderstehliche Reiz,
den das wahrhaft coloristische Werk, noch ehe man überhaupt sich seines
Gegenstandes hat bemächtigen können, wir möchten sagen , schon bei zwan-
zig Schritt Entfernung, auf jeden Beschauer ausüben wird."
Die vielfältigsten Angriifspuncte für die Stilistik nach beiden
Seiten zugleich bietet die Gewandung dar, indem die grosse Frei-
heit, welche Seitens der Idee oder sachlichen Angemessenheit im
Allgemeinen bleibt, das Gewand so oder so zu wählen, zu legen
und zu färben, stilistisch eben so zur deutlicheren Bezeichnung,
Charakterisirung, als zur wohlgefälligeren Darstellung der Personen
und selbst zu einer befriedigenden Haltung des Ganzen in Formen
und Farben benutzt werden kann, worauf schon früher (Th. I.
S. 482) Gelegenheit war Bezug zu nehmen. Ist es doch in dieser
Hinsicht in der Kunst wie in der Natur, nur in der Kunst noch
über die Natur hinaus. Die fundamentalen Motive für die Anwen-
dung und Abänderung der Gewandung sind von Natur durch
äiussere Zweckrücksichten gegeben; aber daran schliessen sich
Motive für die Bezeichnung und Schmückung der Personen, ver-
weben sich mit jenen Motiven und überwuchern solche sogar nicht
selten. Die Kunst nimmt, insoweit sie eine nachahmende ist, das
ganze Resultat davon in sich auf, die bunte Tracht des Türken wie
die stattliche des Altspaniers; geht nun aber darüber hinaus, in-
dem sie das, was danach noch frei bleibt, ihrerseits stilistisch zur
Charakteristik und Schmückung der Personen und des ganzen Bil-
des verwendet.
Bei der Gewandung von Persönlichkeiten aus dem Idealge-
hiete ist die Freiheit in dieser Hinsicht natürlich von vorn her-
ein grösser, als bei solchen aus dem Realgebiele, weil mit der
ganzen Gestalt der Personen auch deren Gewand erdacht werden
muss; nur wird diese Freiheit mehrfach durch Conventionen be-
schränkt. Nicht minder aber handelt es sich dabei um das Ob als
das Wie der Bekleidung. Die griechischen Götter, Göttinnen und
Heroen werden theils bekleidet, theils unbekleidet, der christliche
Gott stets bekleidet, das Christkind in früheren Zeiten bekleidet,
jetzt stets unbekleidet, erwachsene Engel bekleidet, Kinclerengel