Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 2)

99 
schiedene Theile des Körpers, die sich gegen einander bewegen 
können , statt in einfacher Fortsetzung von einander oder parallel 
mit einander, vielmehr in irgend einer Winkelstellung gegen einan- 
der dargestellt werden. Nur dass auch hier die beschränkende 
Rücksicht bestehen bleibt, dass alle Verschiedenheit durch ein ein- 
heitliches psychisches Motiv gebunden erscheinen und dieses sich 
der allgemeinen Idee des Kunstwerkes, in welches die Figur ein- 
geht, unterordnen muss. Jedes Zuviel aber wird eben so durch 
den Widerspruch mit der sachlichen Angemessenheit oder den 
Foderungen der Idee wie dadurch verboten, dass es ins Eckige, 
Schroffe, und dadurch von andrer Seite ins Stilwidrige hineinge- 
rath (vgl. TI1. I. S. 61). 
Bei selbständiger Darstellung einzelner Figuren wie im Por- 
trait oder in der Plastik macht sich natürlich diese Stilregel mit 
noch grösserem Nachdrucke geltend als in zusammengesetzten 
Gruppen; und welche plastische Figur man ansehen will, man 
wird die Sorgfalt bemerken können, mit welcher die Künstler ver- 
meiden, wider diese Stilregel zu sündigen. Zwar hat man, wenig- 
stens nach den altägyptischen Figuren zu schliessen, mit der Sünde 
dagegen begonnen, hat aber auch an dem Eindrucke derselben das 
augenfälligste Beispiel von dem daran hängenden Nachtheile. Bei 
den klassischen Figuren selbst von ruhigster Haltung ist hiegegen 
kein Gelenk ganz müssig. 
Wieder freilich hält diese Stilregel wie jede gegen überwie- 
gende Foderungen der Idee nicht Stich. In dem Baphaelschen 
'l'apetenbilde, der Predigt von Paulus, steht Paulus so zu sagen 
wie ein starrer Wegweiser mit rechtwinklig ausgestreckten paral- 
Ielen Armen da; also zum Theil mit Weniger Bewegung, zum Theil 
mit gleichartigerer Bewegung, zum Theil mit schroüerer Bewegung, 
als der allgemeinen Stilregel entspricht. Aber er soll auch wie ein 
Wegweiser dastehen, der ganz darin aufgeht, die eine Richtung zu 
zeigen, die zu gehen Allen noth thut; gegen die Macht dieser Idee 
hält keine äussere Stilregel Stich. Doch würde man nicht wagen, 
Paulus als Einzelfigur so darzustellen, weil abgesehen vom fehlen- 
den Motiv dazu die Stilrücksicht sich hier mit verhältnissmäissig 
grösserem Gewichte geltend machen würde. 
Leonardo da Yinci in s. höchst nützlichen 'I'ractat von der Malerei 4747. 
Nürnberg. p. 6. 44. Observat. giebt. folgende Regeln. nNehmet in Acht, dass 
in eueren Figuren der Kopf niemals auf die Seite stehe, wo sich die Brust
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.