Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 2)

98 
Wenn es grössere Versammlungen oder Aufzüge von vielen 
Personen darzustellen gilt, so ist unserm Stilprincip freilich in 
gewisser Hinsicht der grösste Spielraum geboten und erscheint die 
Federung desselben am dringendsten, um der Monotonie zu ent- 
gehen. Nun aber sieht man doch bei wirklichen Versammlungen 
und Aufzügen vielmehr die Hauptmasse der Betheiligten in gleichem 
Sinne gestimmt, gewandt, gestellt, und erhält nur dadurch den 
kraftvollen Eindruck eines Alle einigenden Anlasses und einer ein- 
heitlichen Massenwirkung. Will der Künstler hier die stilistische 
Rücksicht der Vermannichfachung unbeschränkt walten lassen, so 
wird er diesen Eindruck, um den es ihm aus höherem Gesichtspuncte 
als dem der äusseren Stilrücksicht zu thun sein muss, zerstören; 
es würde der Eindruck eines zerfahrenen Wesens daraus entstehen; 
also gilt es gerade hier eine sehr massvolle Anwendung unseres 
Stilprincipes. Doch findet man nicht selten der unrecht ange- 
wandten Stilrücksicht in dieser Hinsieht den Sinn geopfert; und 
noch kürzlich sahe ich in einem übrigens ganz interessanten Bilde, 
was einen Leichenzug von Mönchen darstellte, den Ausdruck der 
Mienen und dieWendung der Köpfe so variirt, dass über dieser 
malerischen Mannichfaltigkeit der einheitliche Zug des Zuges ganz 
verloren gieng, und es aussahe, als hätte jeder eine andere Art 
Trauermedicin eingenommen. 
Wo sich der Künstler so zu sagen eine Güte in Anwendung 
des Principes thun kann, und auch nicht verfehlt es zu thun, ist 
die Darstellung eines Kampfgewühles; weil die ausgiebigste Be- 
nutzung des Prineipes hier ganz in den Sinn der Aufgabe hinein- 
tritt; nur trägt die Aufgabe, ein Gewühl darzustellen, selbst 
schon den Charakter der Zerfahrenheit und wird man sich nicht 
leicht von der Darstellung recht erbaut finden, wenn nicht wenig- 
stens eine Hauptscene des Kampfes die Aufmerksamkeit zu cen- 
triren vermag. 
Manche Bilder giebt es, die in der äusserlichen mechanischen 
Durchführung unsers Stilprincipes so zu sagen aufgehen, und doch 
mit einer Zuthat hübscher oder gerührter Gesichter ohne andere 
Vorzüge noch einen Effekt beim grossen Publicum machen, wozu 
ein erläuterndes Beispiel in Mises kl. Sehr. S. 4523 besprochen ist. 
Nicht minder als zwischen verschiedenen Figuren eines Bil- 
des macht sich das stilistische Princip der lllannichfaltigkeit bei 
jeder einzelnen geltend. So ist es im Sinne desselben, dass ver-
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.