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Ausdruck, neben oder hinter einander knieen, oder auch so manche
photographische Familienbilder, wo alle Glieder, um sich ganz voll
zu prasentiren, pappelartig neben einander in aufrechter Stellung
oder sitzend mit aufrechtem Oberkörper, geradegehaltenem Kopfe,
das Gesicht dem Beschauer zuwenden, was freilich nicht blos ge-
gen den Stil, sondern zugleich gegen die sachliche Angemessenheit
ist, denn es giebt kein natürliches Verhältniss, welches die Glieder
einer Familie veranlassen könnte, sich so zu einander zu stellen
oder neben einander zu setzen; wäre es aber der Fall, so dürfte
es doch aus stilistischen Gründen nicht zum Abbild gewählt wer-
den, weil es an sich durch Monotonie ungefällig ist. Auch suchen
etwas künstlerisch gebildete Photographen dem Stilnachtheil da-
durch zu begegnen, dass sie die Personen so zurecht rücken und
schieben, dass eine gewisse Mannichfaltigkeit der Stellungen und
Wendungen dabei herauskommt, nur dass sie freilich nicht damit
erzielen können, was der Künstler erzielt, Wenn er die Figuren aus
einem einheitlichen Gesichtspuncte in seinem Kopfe so stellt, dass
die Mannichfaltigkeit der Stellungen und Wendungen nur als die
natürliche Gliederung eines solchen Gesichtspuncts erscheint, und
die Idee vielmehrdadurch in Einzelnheiten ausgeführt wird als in
Solche zerfährt.
Nun muss man sich freilich nicht einbilden, dass den Künst-
lern im Zustande der Begeisterung überall gleich diese vortheil-
hafteste Ausführung vorschwebt, mag es auch bei genialen Künst-
lern in glücklichen Momenten der Fall sein in der Begeisterung
für die Kunst traut oder muthet man der Begeisterung des Künst-
lers in der That leicht zu viel zu Die Künstler wissen aber
sehr wohl, dass ein Theil des Reizes der Ausführung in der Ver-
mannichfachung liegt, und die Stellung der Figuren im Kopfe der
meisten Künstler auf Grund dieses Wissens mag sich von der
iiusseren Stellung durch den Photographen mit Hin- und llerschie-
ben und Rücken oft blos dadurch zum Vortheil unterscheiden,
dass die inneren Figuren nicht so unbeholfen und unvollständig
den Versuchen nachgeben als die äusseren, kurz dass der Künst-
ler sie mehr in der Gewalt hat. Dass aber in der That diese Stil-
regel oft vielmehr nur nach einem äusserlichen Wissen von der-
selben als einem Gefühl, das auch die Gränzen ihrer Anwendbar-
keit kennt, befolgt wird, ergiebt sich daraus, dass die Gränzen
nicht selten überschritten werden. Zum Beispiel:
Fechner, Vorschule Cl. Aestlietik. II. 7