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lassen; aber auch nicht viel verschiedener, um die wohlthuende
Annäherung an die Symmetrie nicht ganz zu zerstören. Nun aber
trägt zum stilistischen Leben und hiemit Reize des Ganzen bei,
dass der heilige Sixtus von seinem etwas Liefern Stande in an-
dachtsvoller Erhebung aufwärts, die heilige Barbara von ihrem
etwas höheren Stande in demüthiger Abwendung von dem Glanze
der himmlischen Erscheinung abwärts blickt, indess die Madonna
über beiden und zwischen beiden gerade durchhlickt, das Christ-
kind aber etwas seitlich blickt, Alles durch die Natur der Aufgabe
vielmehr zugelassen als gefodert.
Eine Durchführung desselben Princips lebendig durchbroche-
ner Symmetrie kann man in dem Holbeinschen Madonnenbilde
finden. In der That auch hier ist die Hauptanordnung symmetrisch
in Beziehung zur Hauptfigur; aber die sechs Nebeniiguren, je drei
zu jeder Seite, verschieben sich so gegen einander und zeigen eine
solche Mannichfaltigkeit in Wendung ihrer Figuren und nament-
lich Köpfe, dass dadurch dem Bedürfniss einer lebensvollen Man-
nichfaltigkeit in vollem Masse genügt wird. Und auch hier dürfte
man nicht viel daran ändern, etwa die drei weiblichen Figuren in
eine Reihe rücken, oder die mittelste eben dahin sehen lassen, wo-
hin die beiden andern sehen, oder die geneigte Stellung der mit-
telsten männlichen Figur gegen die beiden anderen aufgeben, sollte
nicht dem Reize der Gruppirung durch die verminderte Mannich-
faltigkeit wesentlicher Abbruch geschehen. Nur ist hier nicht eben
so wie in der Sixtina mit dem stilistischen Vortheil der Mannich-
faltigkeit zugleich der einheitliche ideelle Eindruck gewahrt, indem
mehrere Figuren sich um andre Dinge als den Gegenstand der
Andacht zu kümmern scheinen, während in der Sixtina die ganz
verschiedenen Weisen, wie sich der heilige Sixtus und die heilige
Barbara benehmen, nur zwei durch den verschiedenen Charakter
der Persönlichkeiten modulirte Ausdrucksweisen andiichtigei- Ver-
ehrung desselben Gegenstandes sind. In dem Holbeidschen Bilde
ein Auseinanderfallen, in dem RaphaePschen ein Auseinander-
spannen.
Um den stilistischen Vortheil der Vermannichfachung der
Stellungen und Wendungen überhaupt schätzen zu lernen, braucht
man nur den vorigen Bildern gegenüber so viele altdeutsche, z. B.
Cranaehkche Votivbilder zu betrachten, wo die Glieder der Stifter-
lamilie orgelpfeifenartig mit gleicher Wendung der Köpfe, gleichem