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Kunstgattungen zulässig oder selbst zu Gunsten andrer ästheti-
scher Vortheile gefodert sind, was jedoch in Ausführungen über
Kunst gehört, auf die wir für jetzt nicht weiter als mit ein paar
kurzen Beispielen eingehen wollen, 111D in einem späteren Ab-
schnitte ausführlicher darauf zurückzukommen.
Ein Engel mit Flügeln kommt nicht in Wirklichkeit vor; aber
wir setzen auch nicht voraus, dass der gemalte Engel einen wirk-
lich vorkommenden Engel vorstellen soll, in Welchem Falle er uns
wirklich missfalleu würde, sondern nur, dass er einen himmli-
schen Boten Gottes symbolisch darstellen solle, womit sich die
Flügel ganz wohl vertragen. Die Flügel selbst aber müssen so
gemalt sein, dass sie zum Fliegen tauglich erscheinen, da sonst
die durch ihre Anschauung erweckte Vorstellung der Vorstellung
ihrer Bestimmung widerspricht. Einen Roman können wir recht
wohl mit Lust lesen, trotzdem dass wir wissen , die Personen und
Begebenheiten desselben sind der Wirklichkeit fremd; wir wissen
zugleich, es ist nicht um Darstellung concreter Wirklichkeit zu
thun. Also kein Vorstellungswiderspruch. Aber reale oder psycho-
logische Unmöglichkeiten oder starke Unwahrscheinlichkeiten darf
er nicht enthalten, welche den allgemeinen Bedingungen der
Existenz widersprechen, deren Bewusstsein uns beim Lesen des
Romans als Federung begleitet.
VIII.
Princil) der Klarheit. Zusammenfassung
drei obersten Formalprineipe.
(ler
Werfen wir einen Blick zurück auf die beiden vorigen Prin-
cipe, das der einheitlichen Verknüpfung der Mannichfaltigkeit und
das der Einstimmigkeit oder Wahrheit, so ruhte jenes darin, dass
Vorstellungen, die von gewisser Seite (zeitlich: räumlich, begriff-
lich) verschieden sind, von andrer Seite in etwas Gemeinsamen
zusammentreffen müssen, um im Sinne der Lust zu sein; dieses
darin, dass von verschiedenen Seiten her erweckte Vorstellungen
von etwas voraussetzlich identischem auch wirklich identisch zu-
sammentreffen müssen, um im Sinne der Lust zu sein. Beide