83
ohne dass wir ein absolutes Kriterium für äussre Wahrheit
haben.
Hienach hängt an unserm Principe das Gefallen, was wir an der
Erkenntniss innerer und äusserer Wahrheit abgesehen von der
Beschaffenheit des Inhaltes und dem Nutzen der Wahrheit haben,
und das Missfallen, was wir an Unwahrheit und Lüge abgesehen
von der Beschaffenheit des Inhaltes und den üblen Folgen der
Lüge haben. Diess können wir als formale Seite des Gefallens
und Missfallens an der Wahrheit und Unwahrheit bezeichnen.
Indem uns aber etwas auch abgesehen davon, ob es Wahr
oder unwahr ist, nach der Beschaffenheit seines "Inhaltes gefallen
oder missfallen kann, und die Wahrheit allgemeingesprochen auch
nützliche, die Unwahrheit schädliche Folgen hat, oder in einen
wohlgefälligen oder missfälligen Zusammenhang eintritt, kann
durch das Bewusstsein davon das Gefallenund Missfallen am
Wahren und Unwahren mitbestimmt werden, was wir als sach-
liche Seite des Gefallens und Missfallens daran bezeichnen können,
die jedoch eigentlich nicht sowohl die Wahrheit und Unwahrheit
selbst, als das, worin sie sich äussert und was aus ihr folgt, an?
geht, insofern unter andre Principe tritt.
Die formale Seite des Gefallens an der Wahrheit reicht schon
für sich allein hin, ohne desshalb überall das allein Wirksame zu
sein, in der Wissenschaft die Wahrheit suchen und in der Kunst
die Wahrheit der Darstellung federn zu lassen, daher wir in der
Wissenschaft nicht eher ruhen, als bis sich von keiner Seite mehr
ein Widerspruch zwischen zwei Vorstellungen oder Vorstellungs-
zusammenhängen findet, und nur von Kunstwerken befriedigt
sind, welche erstens den Foderungen innerer Wahrheit genügen,
wonach nichts Einzelnes der Idee, die das Ganze erweckt, oder,
was damit wenn nicht zusammenfällt aber zusammenhängt, kein
Theil der Vorstellungen, welche die Gesammtheit der übrigen er-
weckt, widersprechen darf, zweitens den Foderungen äusserer
Wahrheit so weit genügen, als wir Anlass finden, eine Ueberein-
Stimmung der Kunstwerke mit äussern Gegenständen nach Idee
oder Zweck derselben vorauszusetzen. Insofern jedoch diess in
der Musik gar nicht, in der bildenden Kunst nur in beschränktem
"Grade der Fall ist, wird auch die mangelnde Uebereinstimmung
eines Kunstwerkes mit der äussern Wirklichkeit nicht allgemein
missfällig sein. Auch kann man Betrachtungen darüber anstellen,
Wie weit Abweichungen von der äussern Wahrheit in gegebenen
69?