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Vorstellung gehegt werden, Welcher die von directer Erfahrung
abhängige Vorstellung widerspricht. S0 können historische An-
gaben unter einander, oder historische Angaben mit Bückschlüssen
aus Thatsachen, oder theoretische Folgerungen unter einander oder
mit beobachteten Thatsachen in Widerspruch oder Einstimmung
stehen.
Nun kann es sein, dass solche Anlässe widersprechenden" Vor-
stellungen zu verschiedenen Zeiten eintreten und wir, indem wir
einmal dem einen, das andremal dem anderen Anlasse nachgeben,
des Widerspruches gar nicht gewahr werden. Z. B. wir lesen
heute die Nachricht, dass zur Zeit eines historischen Datums die
Sonne verfinstert gewesen sei, ein Jahr darauf die Nachricht, dass
sie während der Zeit soll geschienen haben, ohne beide Angaben
an einander zu halten. Oder wir lesen heute in der Bibel, dass
der Mensch in Gott lebe, webe und sei, und finden ein andermal
wieder Anlass, uns Gott gegenüberzustellen, wie ein Mensch dem
andern gegenübersteht. Wo nun der Widerspruch nicht wahrge-
nommen wird, weil die Erinnerung keine Brücke zwischen den
widersprechenden Vorstellungen schlägt, fehlt auch der Anlass -zur
Unlust und ist der Widerspruch ästhetisch gleichgültig; die Unlust
tritt aber um so leichter über die Schwelle, je mehr sich bei der
einen Vorstellung die Erinnerung an die widersprechende geltend
macht.
Eben so wenig als das Dasein eines YViderspruches überall
Unlust erweckt, weckt die Einstimmigkeit der Vorstellungen über-
all Lust. Zu sehen, dass ein Planet zu gewisser Zeit einen gewissen
Ort einnimmt, enthält keinen Widerspruch; aber auch wenn wir
uns bewusst werden, dass hier kein Widerspruch liegt, liegt darin
noch kein Anlass zur Lust; wohl aber, wenn wir uns bewusst
werden, dass sein beobachteter Stand mit seinem berechneten
übereinstimmt, oder zwei von verschiedenen Seiten darüber ge-
führte Rechnungen znsammenstimmen. Und so gehört überall das
Bewusstsein der Möglichkeit eines Widerspruches oder die wirk-
liche Lösung eines solchen zwischen zwei von verschiedenen Sei-
ten sich darbietenden Vorstellungen dazu, um Lust an ihrer Ueber-
einstimmung zu begründen.
Die Uebereinstimmung wie der Widerstreit zweier Vor-
stellungen oder Vorstellungskreise kann mehr oder weniger tief in
unser übriges Erkenntnissgebiet eingreifen, indem dadurch eine
Fechner, Vorschule d. Aesthetik. 3 .6