Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 1)

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gar auch über Decke und Boden ohne Unterbrechung forterstrecken 
sollte. Ja selbst wo das Gefühl der Erhabenheit mit der Grösse 
eines einförmigen Gegenstandes wächst, wie heim Meere, würde 
das Missgefühl der Monotonie überwiegen, wenn wir nicht auch 
die Begränzung durch etwas Andres erblickten, sich etwa Meer 
und Himmel in voller Gleichförmigkeit in einanderfortsetzen sollten. 
Dass aber auch Fälle eintreten können, wo eine gleichförmige 
Wiederholung uns schon das erstemal missfallen kann, beweist 
sich u. a. darin, dass wir dieselbe Anekdote nicht zweimal hinter 
einander erzählt hören mögen, nicht gern zwei Sätze hinter ein- 
ander mit demselben Worte anfangen und schliesscn lassen, und 
bei gebildetern musikalischen Geschmack Octaven- oder Quinten- 
gänge überhaupt nicht wohl vertragen. 
c) Gleiche Extension vorausgesetzt lässt sich allgemein sagen, 
dass die Wohlgefälligkeit um so mehr wächst, ein je intensiveres 
oder deutlicheres Gefühl der Einheit sich durch eine je grössere 
Mannichfaltigkeit durch erstreckt; nur dass Gonflicte hindern, bei- 
des zugleich ins Unbestimmte zu steigern. 
 d) Es giebt Extreme nach einer und der andern Seite, wo die 
Einheit möglichst gesteigert und zugleich die Mannichfaltigkeit mög- 
lichst herabgedrückt ist, oder umgekehrt. Z. B. nach erster Seite, 
wenn eine gleichförmige Fläche sich ins Unbestimmte ausdehnte, 
nach zweiter, wenn in einer unregelmässigen und unregelmässig 
wechselnden Kleckserei gar kein gemeinsamer Charakter, wie ihn 
noch jede Marmorirung hat, spürbar Wäre. Von solchen Extremen 
kann man sagen, dass sie unbedingt missfallen, und u_m so sichrer 
ist Missfallen zu erwarten, je näher ein Fall dem einen oder an- 
dern Extrem kommt. 
e) Zwischen beiden Extremen giebt es eine gewisse Mitte 
oder mittlere Breite, in welcher die Conflicte zwischen Einheit und 
Mannichfaltigkeit sich in möglichst vortheilhafter Weise für das 
Gefallen abwägen; mag von hier ab die Einheit oder Mannichfal- 
tigkeit auf Kosten der Gegenseite bevorzugt werden, so nimmt die 
Wohlgefälligkeit ab, wird die Fortsetzung der Betrachtung kürzere 
Zeit vertragen oder tritt selbst Missfälligkeit ein. Aber dieser vor- 
theilhafteste Punct oder diese vortheilhafteste Breite ist nach Ver- 
schiedenheit der Subjectivität und selbst nach Verschiedenheit der 
Zustände desselben Subjects verschieden. So stimmt vorausge-
	        
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