Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 1)

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satt; indess wir wohl einen ganzen Band eines guten Romans auf 
einen Sitz auslesen, so zu sagen gar nicht davon loskommen 
können, ungeachtet wir von jeder Anekdote für sich einen 
grösseren Lustertrag hätten als von jedem gleich grossen Stück 
des Romans, und man meinen könnte, dass durch den bestän- 
digen Inhaltswechsel der Anekdoten die Erregbarkeit immer 
frisch erhalten werden müsste. Aber eben dieser Wechsel ohne 
verknüpfenden Faden lässt uns nicht lange bei dem Lesen aus- 
halten; ja, wenn nicht jeder Vergleich, jede Anekdote für sich dem 
Princip der einheitlichen Verknüpfung genügte und sonst noch 
durch die Beschaffenheit des Inhaltes interessirte, würden wir um 
so weniger dabei aushalten. 
So viel zur Erläuterung des Gesichtspunctes der Einheit, der 
in unser Princip eingeht. Wenden wir uns zu dem der Mannich- 
faltigkeit, so mögen wir zuvörderst im Allgemeinen zurückrufen, 
dass das Gefühl der Monotonie um so zeitiger und stärker herein- 
bricht, je mehr es an Mannichfaltigkeit fehlt, wonach die reine 
Gleichförmigkeit demselben mehr unterliegt als die gleichförmige 
Wiederholung einer einfachen Form, und diese mehr als die eines 
zusammengesetzten Musters; können aber auch auf viele Schau- 
spiele insbesondre verweisen, deren Reiz, wenn schon nicht auf 
der Mannichfaltigkeit allein beruhend, doch mit wachsender Man- 
nichfaltigkeit wächst, ohne dass das Gefühl der Einheit dabei sich 
mitisteigere, nur dass es nicht verloren gehen darf, um nicht mit 
der ersten Seite des Principes in Widerspruch zu gerathen. 
In das Kaleidoskop thut man niemals blos ein oder zwei 
Steinchen, sondern eine Mehrheit von solchen, womit ohne Vor- 
theil für die einheitliche Beziehung, die immer in derselben Art 
symmetrischer Verknüpfung liegt, nur ein Vortheil für die Man- 
nichfaltigkeit entsteht. 
Lange kann man sich an den Evolutionen eines Fluges von 
Tauben oder Staaren ergötzen, so mehr und so länger, je man- 
nichfacher die Wendungen, Schwankungen, Geslaltveränderungen 
desselben sind. Jetzt hallt sich der Schwarm zur Kugel, jetzt 
dehnt er sich zum Ellipsoid, jetzt bietet er uns eine breite, jetzt 
eine schmale Seite dar, jetzt zieht er sich zusammen und verdun- 
kelt sich dadurch, jetzt dehnt er sich aus und wird dadurch lich- 
ter; jetzt trennt sich die Masse, jetzt vereinigt sie sich wieder, 
und oft blitzahnlich geht eine Veränderung in die andre über;
	        
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