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satt; indess wir wohl einen ganzen Band eines guten Romans auf
einen Sitz auslesen, so zu sagen gar nicht davon loskommen
können, ungeachtet wir von jeder Anekdote für sich einen
grösseren Lustertrag hätten als von jedem gleich grossen Stück
des Romans, und man meinen könnte, dass durch den bestän-
digen Inhaltswechsel der Anekdoten die Erregbarkeit immer
frisch erhalten werden müsste. Aber eben dieser Wechsel ohne
verknüpfenden Faden lässt uns nicht lange bei dem Lesen aus-
halten; ja, wenn nicht jeder Vergleich, jede Anekdote für sich dem
Princip der einheitlichen Verknüpfung genügte und sonst noch
durch die Beschaffenheit des Inhaltes interessirte, würden wir um
so weniger dabei aushalten.
So viel zur Erläuterung des Gesichtspunctes der Einheit, der
in unser Princip eingeht. Wenden wir uns zu dem der Mannich-
faltigkeit, so mögen wir zuvörderst im Allgemeinen zurückrufen,
dass das Gefühl der Monotonie um so zeitiger und stärker herein-
bricht, je mehr es an Mannichfaltigkeit fehlt, wonach die reine
Gleichförmigkeit demselben mehr unterliegt als die gleichförmige
Wiederholung einer einfachen Form, und diese mehr als die eines
zusammengesetzten Musters; können aber auch auf viele Schau-
spiele insbesondre verweisen, deren Reiz, wenn schon nicht auf
der Mannichfaltigkeit allein beruhend, doch mit wachsender Man-
nichfaltigkeit wächst, ohne dass das Gefühl der Einheit dabei sich
mitisteigere, nur dass es nicht verloren gehen darf, um nicht mit
der ersten Seite des Principes in Widerspruch zu gerathen.
In das Kaleidoskop thut man niemals blos ein oder zwei
Steinchen, sondern eine Mehrheit von solchen, womit ohne Vor-
theil für die einheitliche Beziehung, die immer in derselben Art
symmetrischer Verknüpfung liegt, nur ein Vortheil für die Man-
nichfaltigkeit entsteht.
Lange kann man sich an den Evolutionen eines Fluges von
Tauben oder Staaren ergötzen, so mehr und so länger, je man-
nichfacher die Wendungen, Schwankungen, Geslaltveränderungen
desselben sind. Jetzt hallt sich der Schwarm zur Kugel, jetzt
dehnt er sich zum Ellipsoid, jetzt bietet er uns eine breite, jetzt
eine schmale Seite dar, jetzt zieht er sich zusammen und verdun-
kelt sich dadurch, jetzt dehnt er sich aus und wird dadurch lich-
ter; jetzt trennt sich die Masse, jetzt vereinigt sie sich wieder,
und oft blitzahnlich geht eine Veränderung in die andre über;