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die Schönheit stark spüren, womit übrigens nicht ausgeschlossen
ist, dass an der menschlichen Schönheit noch ganz andre Factoren
mitwirken, denn sie ist so zu sagen so zusammengesetzt als der
Mensch selbst. Man kann aber bei dieser Gelegenheit Wieder die
Leistung des Hülfsprincipes erkennen. Nimmt man dem mensch-
lichen Körper seine Symmetrie, so verlie rt seine Schönheit viel
mehr, als man nach der Leistung blos bedeutunglosser Symmetrie
meinen sollte, dass sie ihm geben könnte.
Bei Abweichungen von der Symmetrie zeigt sich entsprechend als bei
Abweichungen von der Gleichförmigkeit, dass die Verminderung der Wohl-
gefälligkeit dem Grade der Abweichung nicht proportional wächst. Wenn
ein Rechteck nur ganz wenig windschief ist, merken wir die Abweichung
überhaupt nicht und die Missfalligkeit derselben bleibt mit der Wahrnehm-
barkeit derselben zugleich unter der Schwelle; aber schon eine kleine Ab-
weichung, wenn sie nur erst merklich wird, kann die Wohlgefälligkeit er-
lieblich stören oder in Missfälligkeit verwandeln. Nimmt die Abweichung
zu , so nimmt auch die Missfälligkeit bis zu gewissen Gränzen zu, aber kei-
neswegs so, dass wir von der doppelten Abweichung mit doppelter Unlust
betroffen würden, und über gewisse Granzen hinaus, wo das Gefühl der
Annäherung an Symmetrie verloren ist, hat eine weitere Vergrösserung der
Abweichung keinen merklichen Einfluss mehr zur Vermehrung der Miss-
fälligkeit.
Dass es aber doch auch Fälle geben kann, wo durch Auf-
steigen zu einem höheren Einheitsbezuge über dem der Gleich-
förmigkeit wegen zu starker Verletzung des niedern, abgesehen
von allen Mitbestimmungen, an Wohlgefälligkeit eingebüsst werden
kann, beweist sich mit Folgendem :
Gewiss ist, dass, wenn man mit dem Finger über die Zähne
eines noch so regelmässig geschnitzten Zahnrades hinstreicht, man
nicht denselben angenehmen Eindruck davon hat, als beim Hin-
streichen über eine ganz glatte Fläche, indem die oftmalige
völlige Unterbrechung des gleichförmigen Eindruekes, wel-
cher den niedern Einheitsbezug dazwischen begründet, den Vor-
theil der regelmäsisigen Wiederholung, welche einen
höheren Einheitsbezug begründet, überbietet; und aus gleichem
Grunde peinigt uns ein noch so regelmässig intermittirender Licht-
reiz. Dass es sich aber in der That hiebei vielmehr um einen
überbo t e n e n als fehlenden Vortheil der regelmässigen Wieder-
holung handelt, beweist sich dadurch, dass durch Unregelmässig-
keit der Wiederholung die Ungefälligkeit wächst, also zieht die
Begelmässigkeit doch etwas von der Ungefälligkeit ab. Auch giebt
Fechner, Vorschule d. Aesthetik. 5