Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 1)

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puncte nicht abgesprochen werden. Betrachte man z. B. das Gewimmel der 
Sterne am Himmel oder die Augen eines Würfels, oder horche auldie Schläge 
eines Tactmessers, so wird man die Verschiedenheit der Raum- und Zeitlage 
nicht überhaupt für gleichgültig halten können, nur dass sie freilich durch 
das Verfliessen ausserordentlich an Deutlichkeit abnimmt. Doch bleibt es 
etwas Andres , sich mit dem Auge in der Mannichfaltigkeit der Puncte einer 
gleichförmigen Fläche ergehen, als denselben Punct constant üxiren. Wir 
haben hier nun eben den zugleich einfachsten und deutlichsten Einheitsbezug 
mit (ler geringstmöglichen, undeutliehsten Manniclifaltigkeil. 
Alles dergleichen wird uns nun freilich bald langweilig, 
wenn es uns längere Zeit beschäftigen soll. Aber selbst das 
schönste Kunstwerk wird uns langweilig, sollen wir zu lange da- 
bei verweilen; es tritt nur das Bedürfniss des Wechsels bei der 
reinen Gleichförmigkeit oder gleichförmigen Reinheit schneller ein 
als bei einem Kunstwerke, welches wegen grössern innern Wech- 
sels das Bedürfniss eines äusseren minder schnell fühlbar werden 
lässt. Im Allgemeinen ergeht sich doch das Auge gern einige Zeit 
auf einer reinen Farbentafel, zumal wenn man sich das Dasein 
ihrer Reinheit dabei zum Bewusstsein bringt, und kann man sich 
am reinen Zuge einer Linie, an einem rein ausgehaltenen Tone 
wohl erfreuen, wenn man die Aufmerksamkeit darauf richtet; 
wogegen jeder Fleck, jedes Sprisselchen, jede regellose Biegung, 
Verdickung oder Verdünnung einer übrigens rein und gerade 
gezogenen Linie, jedes Geräusch als Beimischung eines Tones, 
jedes unmotivirte Schwanken in seiner Höhe, jede Rauhheit, der 
wir auf einer übrigens glatten Fläche begegnen, die Wohlgefällig- 
keit vermindert oder Missfallen weckt, indem der Einheitsbezug 
der störenden Stelle zu jeder andern Stelle dadurch verloren 
geht, hiemit die Einheilsbeziehung des Ganzen einen Bruch 
erleidet.  
Man kann bemerken, dass der Zuwachs des Missfallens an 
einer Unreinheit nicht mit dem Zuwachs der Unreinheit selbst 
gleichen Schritt hält. Ein kleiner Schmuzfleck auf einer übrigens 
ganz reinen Fläche stört uns ausnehmend; kommt ein zweiter 
hinzu, so wächst das Missfallen in der Regel wohl, doch in viel 
geringerem Verhältnisse, und unter Umständen fast gar nicht. 
Manche Frau ist über den ersten Fleck, der auf ihr weisses Kleid 
oder Tischtuch gemacht wird, ausser sich; kommt ein zweiter 
hinzu, so denkt sie, es war nichts mehr daran zu verlieren. 
Dabei kommen freilich auch ethische Verhältnisse in Rücksicht,
	        
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