einer gewissen Zeit oder Ausdehnung herrschender Geschmack kann
sich bis zu gewisse n Gränzen schon dadurch rechtfertigen,
dass er mi_t dem Geschmacke der eben vergangenen Zeit oder im be-
nachbarten Raume übereinstimmt. Aher wie verträgtsich diess Prin-
cip mit dem vorigen? Erstens macht-sich nach der subjectiven Ein-
richtung des Menschen das Bedürfniss des Wechsels von Eindrücken,
die nicht unmittelbar missbehaglich sind, erst geltend, wenn ein
gewisses Mass der Forterhaltung überschritten ist; zweitens aber
erhalten sich auch immer ohjectiv durch benachbarte Zeiten und
Räume gewisse Bedingungen fort, wodurch gemeinsame Foderungen
an den Geschmack gestellt werden.
Wie sich nun beide Principe in jedem besondern Falle gegen
einander abzuwägen haben, kommt auf die subjectiven und objec-
tiven Bedingungen des Falles an, und es kann im Sinne unsers all-
gemeinsten Principes nur die Regel gegeben werden, dem Conflict
beider Principe dadurch Rechnung zu tragen, dass die Vortheile
sowohl der Forterhaltung als des Wechsels möglichst ausgenutzt,
also von einem zum andern nur nach Massgabe des eintretenden
Uebergewichts fortgeschritten werde.
Nach Allem also giebt es über alle, früher (S. 246 f.) flüchtig
berührten, Principe der Beurtheilung der Güte des Geschmackes
hinaus ein einziges, an sich völlig und überall durchschlagendes,
in dem alle jene Principe zusammentreffen, so weit sie triftig sind,
und was ihren Conflict entscheidet, so weit sie nicht zusammen-
treffen; alle aber sind doch bis zu gewissen Gränzen triftig, und
treffen doch nicht überall zusammen. Nur dass es den Nachtheil
so vieler an sich triftigen Principe theilt, dass es leichter aufzu-
stellen als anzuwenden ist, weil es eine Abwägung fodert, zu der
uns die genaue Kenntniss der Gewichte fehlt. Diess Princip hängt
mit der Grundbeziehung des Schönen zum Guten zusammen,
(vergl. S. 46. 49), und lautet kurz, im Grunde selbstverständlich,
und darum scheinbar trivial :
Der besste Geschmack ist der, bei dem im Ganzen
das Besste für die Menschheit herauskommt; das Bes-
sere für die Menschheit aber ist, was mehr im "Sinne
ihres Zeitlichen und voraussetzlich ewigen Woh-
les ist.