Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 1)

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Den Geschmack in objectivem Sinne (S. 933) verstanden, 
lässt ein in einer gewissen Zeit, einer gewissen Ausdehnung herr- 
schender Geschmack sich bis zu gewissen Gränzen schon 
dadurch rechtfertigen, dass er ein andrer ist, als der in der eben 
vergangenen Zeit oder dem nachbarlichen Raume herrschende 
Geschmack. Denn der Mensch bedarf, um nicht gegen gegebene 
Quellen der Wohlgefälligkeit abgestumpft zu werden, des Wech- 
sels derselben; und möchte man also auch den antiken Geschmack 
in bildender Kunst, Architektur, Kunstindustrie allgemein gespro- 
chen jedem andern vorziehen, so müsste man doch zeitliche und 
örtliche Abweichungen von demselben gestatten , die, obwohl bei 
Gleichsetzung alles Uebrigen minder vortheilhaft, doch eben nur 
durch den Wechsel mit dem antiken zeitlich und örtlich vortheilhafter 
würden. Indessen bedarf die Anwendung dieses Principes grosser 
Vorsicht und wird durch ein gegenwirkendes Princip beschränkt. 
Im Allgemeinen wechseln die Verhältnisse, mit welchen der 
Geschmack in Beziehung zu treten hat, schon von selbst so sehr 
nach Zeit und Ort, dass hiemit auch von selbst Abänderungen in 
den Foderungen des Geschmackes eintreten, welche dem Bedürf- 
niss des Wechsels entsprechen, ohne dasselbe unabhängig davon 
zu berücksichtigen. Also wird das Bedürfniss des Wechsels nur 
insofern massgebend sein können, als die übrigen Umstände, 
welche die Foderungen des Geschmackes bestimmen, die Wahl 
zwischen Forterhaltung und Wechsel freilassen, oder Vortheile, 
welche verschiedene Geschmacksrichtungen nach verschiedenen 
Seiten darbieten, im Wechsel zur Geltung gebracht werden sollen. 
So hat der Baugeschmack im Spitzbogenstil und im Bundbogenstil 
jeder seine Vortheilc und Vorzüge; man wird beiden gerecht und 
erfüllt damit zugleich das Bedürfniss des Wechsels, indem man 
nicht einen von beiden einseitig bevorzugt. So wird selbst der 
chinesische Baugeschmack seine Stelle finden können. Durch kein 
Bedürfniss des Wechsels aber könnte auch nur zeitlich oder örtlich 
ein Baustil gerechtfertigt werden, der den Bedingungen der Halt- 
barkeit und überhaupt Zweckmässigkeit widerspricht. 
Liegt nun schon eine sehr allgemeine Beschränkung des vorigen 
Principes darin, dass überhaupt nicht vom Guten zum Schlechten 
gewechselt werden soll, so beschränkt sich dasselbe noch specieller 
und directer durch folgendes, ihm geradezu entgegengesetzt lau- 
lendes, doch nur scheinbar widersprechendes, Princip: ein, in
	        
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