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lichkeit als der Bencoolensche gewährt, das ästhetische Gefühl un-
mittelbar zu befriedigen, sondern auch in Verhältnissen wurzelt
und sich wechselseitig damit trägt und hält, welche eine gedeih-
lichere Entwickelung und Führung des Lebens überhaupt gestat-
ten. Dann wird er bei nicht grösserer Berechtigung doch höher
zu schätzen sein. Um so mehr wird das im Verhältniss zum Bau-
geschmack des Feuerländers und Grönländers gelten müssen.
Dass Güte des Geschmackes nicht noth wendig mit Feinheit
und Höhe des Geschmackes zusammentrifft, ward schon früher im
Allgemeinen bemerkt. Leicht nämlich kann es geschehen, dass
das Gefallen an feineren Bestimmungen und höheren Beziehungen,
sofern es sich überall nur auf Kosten des Gefallens an minder fei-
nen und hohen entwickeln kann, grössere Kosten in dieser Hin-
sicht macht, als es einträgt, dazu den Menschen in missstimmende
Verhältnisse zu den für ihn nicht hoch genug geschraubten und
fein genug gefaserten Menschen und Dingen, mit denen er
zu verkehren hat, setzt. Dann hat man das, was man als
iUeberfeinerung, Ueberbildung des Geschmackes vielmehr tadelt
als lobt.
Hiegegen wird man den Geschmack eines Kindes, was grösse- '
res Gefallen an seinem bunten Bilderbogen als einem Baphaelschen
Gemälde findet, folgerechterweise vielmehr einen Geschmack von
niedrer Stufe als einen schlechten Geschmack zu nennen haben,
obwohl der Sprachgebrauch diese Folgerichtigkeit nicht immer
einhält. Würde es doch nicht frommen, wenn dem Kinde umge-
kehrt das Baphaelsohe Bild besser als sein Bilderbogen gefiele,
weil mit solcher vorzeitigen Entwickelung sich keine gedeih-
liche Entwickelung vertrüge; man würde hier einen für die Kin-
desstufe überbildeten Geschmack zusehen haben. Nur für einen
Erwachsenen, der Anspruch macht, auf der Höhe der Bildung
seiner Zeit und Nation zu stehen, würde der kindische Geschmack
als ein schlechter anzusehen sein, indem natürlich zur Güte des
Geschmacks bei Jemand, der nach Alter, Stand und Nationalität
einer höhern und feinem Bildungsstufe angehört, auch gehört, dass
sein Geschmack in Höhe und Feinheit damit zusammenstimme.
Hier wächst in der That die Güte des Geschmackes bis zu gewissen
Gränzen mit seiner Höhe und Feinheit, indess sie doch darüber
hinaus durch Ueberbildung und Ueberfeinerung des Geschmackes
wieder abnehmen kann.