Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 1)

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oder Seen liegen, welche öfters austreten, so werden die Httuser 
durch ihre Erhebung gegen die Nachtheile von Ueberschwem- 
mungen geschützt. Endlich sind sie dadurch auch um so ge- 
sicherter gegen die Anfälle wilder Thiere, von denen namentlich 
die Tiger dort so häufig sein sollen, dass, wie ich mich erinnere 
gelesen zu haben, man es in Bencoolen fast für das natürliche 
Lebensende ansieht, von einem Tiger gefressen zu werden. Was 
uns also als abgeschniackter Einfall missfallen müsste, wenn es 
bei uns ausgeführt würde, weil es keinem Zweck entspräche, mit- 
hin keine lustvolle Association begründete, und selbst in Bencoolen 
noch missfallen muss, wenn wir nicht in Bencoolen erzogen sind, 
wird für die Einwohner Bencoolens selbst eine ganz andere Be- 
deutung erhalten. lhnen sind die Häuser zugleich Sonnenschirme, 
wozu die Stützen die Stecken bilden, und nicht blos Wohnorte auf der 
Erde, sondern zugleich Zufluehtsorte, wodurch sie über Unheil, was 
sie von der Erde aus bedroht, hinweggeholaen werden; und was 
laeiträgt, diese Zwecke am Hause zu erfüllen, trägt auch bei, sie 
mitWohlgefallen daran zu erfüllen und hat Recht dazu beizutragen. 
Eben so wie die Erhebung der Hiiuser durch Stützen hat sich 
aber auch die Form der letztern ganz einfach als die selbst 
einfachste Weise, natürliche Zweckverhältnisse zu erfüllen, er- 
geben, und die griechische Säule ist in dieser Beziehung nicht ge- 
rechtfertigter als die Bencoolensche Stütze. ln Bencoolen sind Erd- 
beben sehr häufig, der Steinbau daher überhaupt unmöglich; die 
Häuser sind leichte Holzhäuser; und es handelte sich also, um es 
kurz zu bezeichnen, bei den dortigen Bauten nicht darum, schwere 
Massen auf die Erde zu gründen, sondern leichte Massen in die 
Erde festzustecken, etwa wie man einen leichten Gegenstand 
an einem feststehenden mit Nadeln feststeckt, damit er durch die 
Erschütterung nicht abgeworfen werde. Die Nadeln werden nun 
hier durch Pfähle vertreten, die man in die Erde einrammt; Pfähle 
aber können ihrer Natur nach nur unten dünner als oben sein. 
Was wir nun hier bei Beurtheilung des Bencoolenschen Bau- 
geschmacks gethan, sollten wir eigentlich überall thun, wo es ein 
Urtheil über den Geschmack fremder Zeiten und Nationen gilt, uns 
in die Verhältnisse von Zeit und Ort versetzen , und zusehen, ob 
der Geschmack, der für unsere Verhältnisse nicht gerechtfertigt 
erscheinen mag, es nicht doch für die Verhältnisse der andern 
Zeit, des andern Ortes ist. 
	        
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