Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 1)

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schlechten. Der Mensch soll seinen Geschmack nicht so bilden, 
dass daraus Nachtheile für die gesunde und zweckmässige Führung 
seines Lebens und vollends für die Moralität daraus hervorgehen; 
und er kann ihn so bilden, dass es nicht der Fall ist. Und nicht 
nur ist jeder Geschmack zu verwerfen, der eine solche Schuld auf 
sich ladet, sondern auch jeder, der nur durch eine solche Schuld mög- 
lich wird, weil es nicht der Fall sein kann, ohne dass er sie verstärkt. 
Mit allem Unsittlichen, Ungesunden ist alles Unpassende, 
Unächte, innerlich Unwahre vom guten Geschmacke zu verwerfen, 
und zwar aus dem doppelten Gesichtspuncte, dass es nicht gut für 
den Geist ist, Gefallen am Widerspruchsvollen der Art zu finden, 
und nicht gut für die Welt, sich Solches gefallen zu lassen; denn 
über Kurz oder Lang, wenn nicht im einzelnen Falle aber in der 
allgemeinen Ordnung der sittlichen und intellectuellen Welt setzt 
sich die Unwahrheit, der innere Widerspruch in Nachtheile für 
das innere oder äussere Wohl des Menschen um. 
In allen solchen Fällen erscheint die Entscheidung über den 
Vorzug des Geschmackes leicht; so leicht aber ist sie nicht immer. 
Sollte ich z. B. entscheiden, ob die Perücke oder unser heutiger 
steifer Hut, ob der Zopf am Kopfe im vorigen Jahrhundert oder die 
zwei Zöpfe am Frack des jetzigen Jahrhunderts geschmackvoller 
oder geschmackloser wären, so würde ich es nicht wagen. Um wie 
viel zusammengesetzter und schwieriger abzuwägende Rücksich- 
ten aber kommen im Allgemeinen in Frage, wenn es gilt, in höhe- 
ren Gebieten des Geschmackes zu entscheiden, welche Weise des 
Emplindens die werthvollste im Ganzen ist. Nicht, dass uns das 
Princip in diesen höheren Gebieten überhaupt im Stiche liesse, 
wir werden noch viel Massgebendes daraus schöpfen können; aber 
ein Hauptvortheil des Principes wird doch immer der sein, uns 
Bescheidenheit des Urtheiles zu lehren. 
Ueberhaupt in allen den unzähligen Fällen, wo sich Confliete 
zwischen verschiedenen ästhetischen Bücksichlen geltend machen, 
wird es zwar leicht und einfach sein, extreme Einseitigkeilen und 
eine Bevorzugung sichtlich untergeordneter Bücksichten vor über- 
geordneten als wider den guten Geschmack zu verwerfen; aber 
es wird nicht nur unmöglich sein, den Punct der hessten Ab- 
wägung dazwischen genau festzustellen, sondern auch nöthig, 
eine gewisse Breite oder Freiheit darin als noch mit einem guten 
Geschmacke verträglich zuzulassen, ohne die Gränzen dieser Frei-
	        
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