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4) Principien des guten oder richtigen Geschmacks.
Unstreitig lassen sich für die Entstehung jedes Geschmackes
Erkläfrungsgründe unter den vorigen Kategorieen finden, natürlich
aber reicht es nicht hin, seine Entstehung erklärt zu haben, um
ihn damit auch gerechtfertigt zu haben, wenn wir nicht alles Ent-
standene und hiemit jeden Geschmack für zu Recht bestehend er-
klären wollen; denn alles Entstandene hat Gründe der Entstehung.
Und was ist es nun endlich, was uns den einen Geschmack billi-
gen, den andern verwerfen lassen, überhaupt einen besseren von
einem schlechteren unterscheiden lassen kann
lm Grunde ist der Gesichtspunct davon sehr einfach, fast
selbstverständlich; nur die Anwendung meist zu schwierig. Der
Massstab der Güte eines G esch m a c k e s ist eben nur der allge-
meine Massstab der Güte, d. h. es handelt sich dabei nicht blos
darum, ob etwas unmittelbar gefällt oder missfällt, Lust oder Un-
lust in der Gegenwart giebt, das ist die Thatsache des Ge-
schmackes, sondern ob es gut ist, dass es gefällt oder missfällt,
d. h. ob das Wohl, das Glück, im höhern Sinne das Heil der
Menschheit im Ganzen vielmehr durch solche Weise des Gefallens
oder Missfallens gewinnt als verliert, denn danach beurtheilt sich
die Güte, der Werth der Dinge. Nun trägt freilich zum gegen-
wärtigen Wohlbefinden jedes Gefallen überhaupt bei, und hat
das bei Beurtheilung des Geschmackes mit zu wiegen, weil die
Gegenwart mit den Folgen zugleich im Masse der Güte zu wiegen
hat; aber wie oft wird die gegenwärtige oder selbstische Lust von
nachtheiligen Folgen im Ganzen überwogen oder tritt in schlimmem
Zusammenhange auf; also gilt es bei Beurtheilung des Geschmackes
auch auf die Folgen und Zusammenhänge seines Daseins und sei-
ner Bildung Rücksicht zu nehmen, kurz gesagt, überall zu fragen,
ob etwas Gutes bei dem und jenem Geschmack herauskommt.
Wer stumpf gegen Lustquellen, die in der Natur und Kunst
liegen, bleibt, oder von dem, was mehr Lustszu geben vermag,
doch weniger Lust empfängt, bringt bei Gleichsetzung der Folgen
und Zusammenhänge eine Lustlücke oder einen Lustverlust in die
Welt. Das ist ein Fehler seines Geschmackes. Aber das kehrt sich
bei Rücksicht auf die Folgen und Zusammenhänge oft um. Was
dem Menschen gefällt, sucht er zu besitzen, zu erzeugen, nachzu-
schalTen, und wie er gesinnt ist, sucht er Andre gesinnt zu machen.
Das Gefallen an manchen Dingen ist überhaupt nur mit einer Werth-