Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 1)

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In ähnlicher Weise hat sich bei den Chinesen der Eindruck 
der Vornehmheit, des Beichthums, der Würde ihrer Träger an die 
Klumpfüsse ihrer Damen, die dicken Biiuche und langen Nägel 
ihrer Mandarinen geknüpft. Dem Chinesen ist diese Associaition 
so geläufig geworden, dass er die Ehrerbietung, die er Vornehmen 
zollt, zum Theil nach der Dicke ihres Bauches abmisst und sogar 
seine Götzen mit einem dicken Bauche bildet; kurz der dicke Bauch 
ist ihm eine Idealform geworden, in deren Anschauen ihn ein Ge- 
fühl von Macht und Grösse, ja wohl, wenn der Bauch irdische 
Gränzen überschreitet, ein Gefühl von göttlicher Erhabenheit über- 
kommt. Die Schlankheit des Apoll von Belvedere würde ihm nur 
Dürftigkeit erscheinen; ganz unwillkührlich würde sie ihm die 
Vorstellung erwecken, er sehe jemand von niedrer Klasse vor sich, 
der nicht Beichthum, Macht und Bang genug habe, um sich ge- 
mächlich zur Buhe zu setzen und seines Bauches zu- pflegen; er 
wurde nur etwa einen Menschen darin finden können, der eifrig 
seinem Erwerbe nachlauft, weil der Chinese selbst aus andern 
Gründen nicht zu laufen pflegt. 
So sehr der Geschmack des Einzelnen im Allgemeinen durch 
Uebertragung vom herrschenden Geschmack beeinflusst wird, 
kommt es doch oft genug vor, dass Solche, die dem Kunstleben 
ferner stehen, durch davon abseits liegende Anlässe der Associa- 
tion, denen sie im Leben unterliegen, mit dem herrschenden 
Kunstgeschmack in vollen Wiederspruch treten. Mag uns in fol- 
gender Einschaltung die Dresdener sixtinische Madonna, dieses 
schönste Bild der Welt, ein paar Beispiele dazu liefern. 
Ein liiilitär äusserte nach einem Besuche der Dresdener Gallerie, ihm 
habe die Madonna doch nur den Eindruck einer besoffenen Bauermagd ge- 
macht. Natürlich, er hatte bisher nur Bauermägde barfuss und in blossern 
Kopfe gehen sehen, und wahrscheinlich den Ausdruck eines Erhabenseins 
über das Irdische nur als Folge des Besoffenseins gesehen.  Vor demselben 
Bilde wurde der, durch populär-medlcinische Schriften bekannte, Dr. B. ge- 
fragt, wie ihm das Biid scheine. Das Kind fixirend sagte er: wErweiterle Pu- 
pillen! hat YVürmer, muss Pillen nehmenß Seine liebensgewohnlmeit lieSS 
ihn eben in dem Christkinde nur ein wurmkrankes Kind sehen.'-- Einen 
andern mir bekannten Arzt hörte ich von den beiden Engeln am untern 
Bahmenrande sagen: wenn seine Kinder sich so flegelhaft auflehnten, so 
würde er sie mit den Armen auf den Tisch aufstossen; und eine kleine Eng- 
länderin äusserte von denselben Engeln, sie müssten wohl keine governess 
gehabt haben.
	        
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