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sehen Geradein und Krummem erklärt, und wie oft hört man heute
noch eine Figur wegen des schönen Flusses ihrer Formen preisen.
Die Perücke scheint wie gemacht, alle diese Foderungen in Eins
zu erfüllen, und nehmen wir noch das Herbart-Zimmermannsche
Princip hinzu, wonach das Grosse neben dem Kleinen gefällt, so
werden wir in der grössten Perücke die vollendetste Schönheit zu
sehen haben. Warum verwerfen wir nun doch die Perücke und
ziehen sogar den steifen Hut trotz Allem, was wir daran auszu-
setzen finden, immer noch der halb welligen, halb elliptischen, in
ihrem Lockenfall das Gerade und Krumme verschmelzenden, kurz
den schönsten Fluss der Formen dar-bietenden Perücke vor.
Nach Manchen ist Schönheit die göttliche, im Irdischen sich aus-
sprechende, sinnlich erscheinende Idee, und die Aufgabe der Kunst
als Darstellerin des Schönen das Ideale. Aber Kröte und Spinne
sind doch auch göttliche Geschöpfe, warum gefallen und sollen sie
uns weniger gefallen als Lilie und Rose; und warum sollte die
Perücke als grandioser Mantel um das Haupt weniger ideal sein
als der bei idealen Darstellungen so viel mehr geschätzte Mantel
um die Schultern. Ist doch die Perücke nur ein idealisirtes Haar.
Wieder nach Manchen ist das Schöne das, was aus einem freien.
Spiele der Phantasie hervorgeht und solches anzuregen vermag.
Wer aber wird in Abrede stellen, dass sich ein viel freieres Spiel
der Phantasie in den alten Frisuren, thurmartigen und garten-
artigen Kopfputzen als in unserer heutigen Haartracht zu tiussern
vermochte; und dass überhaupt die Tracht des Zeitalters Lud-
wigs XIV. und XV. in dieser Hinsicht der geschmackvollsten heu-
tigen und vollends antiken Tracht weit voranstand, welche die
Phantasie auf den ganz bestimmten Weg der Angemessenheit und
Zvreckmiissigkeit beschränkte. Nach Manchen soll das Schöne
die! Idee und die Gesetze des Organischen nur in reinster Aus-
prägung darstellen, die Gestalt der Säulen, die ganzen Verhält-
nisse der Bauwerke, ihre über den dienstbaren Zweck übergrei-
fende Schönheit nur der Erinnerung an die organischen Bauwerke
verdanken. Nun ist es aber Gesetz aller höheren organischen Bau-
werke, ganz auf einem saulenförmigen Unterbau zu ruhen, und
alle organischen Tragsäulen sind oben dicker als unten; warum
wollen wir es doch nicht bei den Bencoolemschen Bauwerken gel-
ten lassen. Wir linden die Quinten- und Quartenfolgen des
Hucbald und Guido von Arezzo und vollends die Musik iler Neger