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grossem Massstabe und Zusamnienhange in Wirkung treten; und
da man in den Cultur- und Kunstgeschichten sich nicht leicht bis
zu ihrer Betrachtung herablässt, so will ich, anstatt das zu wie-
derholen, was man da finden kann, weiterhin mit einigen Betrach-
tungen auf diese letzten Hebel eingehen.
Mit den subjectiven Ursachen der Geschmacksverschieden-
heiten begegnet sich die objectitie, dass die Gegenstände des Ge-
schmackes im Allgemeinen der Auflassung verschiedene Seiten
darbieten. Nun wird je nach Anlage, Lebensverhältnissen, Er-
ziehung die Aufmerksamkeit des Einen mehr von dieser, des An-
dern von jener Seite angesprochen, und je nachdem es eine mehr
wohlgefällige oder missfällige ist, wird sein Gefallen oder Missfallen
am ganzen Gegenstande vorwiegend dadurch bestimmt. So achtet
der Eine bei einem Bilde fast nur auf die Composition, und das
Bild gefällt ihm, wenn es hierin genügt, wie auch das Colorit be-
schaffen sei; bei einem Andern wird umgekehrt das Gefallen haupt-
sächlich durch die Verhältnisse des Colorits bestimmt; der Eine
achtet mehr auf die Beschaffenheit des Inhaltes, der Andre mehr
auf die Form, in derer sich ausprägt, u. s. w. Kurz die Ver-
schiedenheit des Geschmackes hängt zum Theil mit der Einseitig-
keit desselben zusammen, sofern diese verschiedene Richtungen
nehmen kann.
Was die Entscheidung zwischen dem streitenden Ge-
schmack anlangt, so fragt sich vor Allem, wer soll Richter sein?
Das Gefühl"? Aber der Streit des Geschmackes ist eben ein Streit.
des Gefühls
kann also nichL durch das Gefühl entschieden werden.
Der Verstand"? Wohl, gelingt es ihm Kriterien anzugeben, nach
denen etwas schön ist, so wird es einfach sein, den Geschmack
zu rechtfertigen oder zu verwerfen, je nachdem er es auch schön
oder nicht schön erscheinen lässt, d. h. unmittelbar gefallen
oder nicht gefallen macht. Aber leider sind diese Kriterien zwi-
schen den Aesthetikern so streitig, so schwankend, unbestimmt
oder schweben in solcher philosophischen Höhe, dass man die
Perücke und Schleppe so gut danach rechtfertigen kann als das
griechische Gewand; man braucht blos das Princip danach zu
wählen und zu wenden. -Wir ziehen doch sonst in der Regel das
Fliessende, Geschwungene dem geradlinig Steifen ästhetisch vor;
l-logarth hat sogar geradezu die Linie der Schönheit für wellen-
föimig, Winckelmann für elliptisch, Herder für schwebend zwi-