24-2
niss zur Natur, raffinirte noch nicht so in den Modulationen des
ästhetischen Naturgenusses, machte noch keine Reisen in schöne
Gegenden blos um der Schönheit der Gegend willen. Der ästhe-
tische Gesammteindruck der Landschaft stand, ohne rein sinnlich
zu sein, dem sinnlichen unstreitig näher als bei uns, indess manche
Einzelnheiten der Natur, als namentlich Haine, Quellen, Flüsse,
durch ihre mythologische Beziehung auch eine höhere ästhetische
Bedeutung für die Alten gewonnen haben mochten als für uns.
Ganz besonders merkwürdig aber ist der Unterschied in der
ästhetischen Auffassung erhabener und wild romantischer Gegen-
den zwischen dem Alterthum und der Jetztzeit. Für solche Gegeni
den, darf man sagen, ging dem Alterthum der Geschmack ganz-
lich ab; und wenn man jetzt scherzhaft von manchen llunderacen
sagt, sie seien um so schöner, je hässlicher sie sind, so würden
die Alten ernsthaft von unserm Geschmack an derartigen Gegen-
den gesagt haben, sie dünken uns um so schöner, je hässlicher
sie sind. Gegenden wie das Berner Oberland, das Ghamounithal,
die höhern Alpen überhaupt, gelten uns jetzt als Quell der erha-
bensten Reiseeindrüc-ke, ziehen jährlich eine Unzahl Reisender an,
und wohl nirgends hört man eine solche Verschwendung über-
schwänglicher Ausrufungen in allen Sprachidiomen als da, wobei
der Berliner und Leipziger sich nur desshalb scheel ansehen, weil
keiner den Dialekt des Andern erhaben genug für die Erhabenheit
der Scene findet, und jeder die erhabene Einsamkeit allein ge-
niessen möchte. Das konnte man nun früher leicht haben, denn
früher wurden solche Gegenden von allen Reisenden geflohen, die
nicht genöthigt waren, ihren Weg hindurch zu nehmen, und liessen
selbst in der Erinnerung nur den Eindruck eines Schreckbildes
zurück. Und merkwürdigerweise stimmte in dieser Hinsicht der
Geschmack der alten Griechen und Römer mit dem Geschmack
unsrer Zopf- und Perückenzeil vollkommen zusammen, worüber
es belehrend ist, die Ausführungen von Friedländer im zweiten
"Theile seiner Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms nach-
zulesen. Er führt Stellen aus älteren Reisebeschreibungen an,
-worin die Salzburger und Tyroler Alpen, dieSchottischen Hoch-
tlande als aller Zier und Schönheit baare, mit den Märkischen Sand-
wüsten und der Lüneburger Halde unter dieselbe Kategorie und in
demselben Satze zusammengestellt und den lieblichen lachenden
Gegenden, an denen man sich allein zu erfreuen vermochte,