Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 1)

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nicht aber, wie etwa die Beine den Leib eines Thieres, das ganze 
Gebäude sich aufzuladen haben, und als eben so selbstverständ- 
lich, dass sie sich vielmehr nach Oben als nach Unten verjüngen. 
In der That würde es uns als Sache eines völlig verkehrten Ge- 
schmackes erscheinen, ein Gebäude durch Säulen, Stützen ganz 
und gar über den Erdboden erhoben zu sehen, als scheute es 
sich das zu berühren, worauf es sich vielmehr ganz und gar zu 
gründen hat, und den dickern, mithin schwerem, Theil der Säu- 
len, Stützen vielmehr nach Oben als nach Unten gekehrt zu sehen. 
Beide Absurditäten aber finden sich in der Baukunst Bencoolens 
auf der Insel Sumatra vereinigt, wie ich einer Reisebeschreibung 
entnehme. Hier nämlich ruht der Fussboden der Häuser nicht 
auf der Erde, sondern auf 8 Fuss hohen Stützen, so dass man 
unter dem Fussboden wie unter einer Decke weggehen kann, und 
diese Stützen sind sämmtlich oben dicker als unten. Dabei gelten 
dieselben den Einwohnern nicht etwa blos als Gegenstände des 
Nutzens, sondern wirklich des Geschmackes, wie daraus hervor- 
geht, dass sie dieselben sauber bearbeiten und ihren obern Theil 
in ähnlicher Weise verzieren, als wir die Capitäler unsrer Säulen 
verzieren. Ihr Auge und Schönheitssinn oder Geschmack hat 
sich auf diese Verhältnisse ihrer Bauwerke eben so eingerichtet, 
wie unser Geschmack auf die bei uns vorkommenden Verhältnisse; 
und wenn wir über ihre stelzfüssigen Häuser lachen, so werden 
ihnen dagegen unsre Hauser unstreitig vorkommen wie Geschöpfe, 
denen man die Beine abgeschnitten und die nun platt auf derErde 
aufliegen. 
Man fragt: wie erklärt sich eine solche Verirrung des Ge- 
schinackes? Sie wird sich nicht nur weiterhin (S. 259 f.) erklären, 
sondern auch als keineVerirrungrechtfertigen lassen; und eben dess- 
halb, weil sie so instructiv ist, habe ich sie angeführt. Nun nurnoch 
ein letztes Beispiel bezüglich der ästhetischen Auffassung der Natur. 
Dass sich diese bei den Alten wesentlich anders stellte als 
bei uns, geht sehr einfach daraus hervor, dass sie bei ihrer übri- 
gens so hoch entwickelten Kunst doch keine Landschaftsmalerei 
in demselben Sinne hatten als wir. Zwar wusste man lachende, 
blühende, wohl angebaute, an Abwechselung von Wald, Berg, 
Fluss reiche, Gegenden, insbesondere Strandgegenden von See 
und Meer, wohl "zu schätzen, und baute sich vorzugsweise gern 
daran an, stellte sich aber noch in kein so sentimentales Verhalt- 
Feuhner 
Vorschule d. 
Ae sthetik.
	        
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