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ihnen früher ein Kopf ohne Frisur und Zopf gemacht habe. Ein
Mensch ohne das sahe nach gar nichts aus. Hier in Leipzig war
mein Schwiegervater, Rathsbaumeister Volkmann, der erste, der
es wagte, bei einer feierlichen Gelegenheit, seiner Doctordisputa-
tion nämlich, ohne Zopf zu erscheinen, und sein, mit ihm befreun-
deter Opponent, der nachher berühmt gewordene Philolog, Gott-
fried Hermann, sekundirte ihm in diesem Wagniss, dem er sich
schwerlich allein gewachsen gefühlt hätte. Auch hätte es ihn bei-
nahe den Eintritt in den Rath gekostet; denn einen Vater der
Stadt ohne Zopf denken , hiess fast sich den Lenker eines Schiffes
ohne Steuer denken. Doch waren Frisur und Zopf im Grunde
nur schwache Nachklänge und letzte Ausläufer der einst welt-
beherrschenden Perücke; durch diese und die zu ihr so zu sagen
polare Schleppe aber wurden früher Eindrücke hervorgebracht,
die uns fast bedauern lassen könnten dieser Stücke verlustig ge-
gangen zu sein, von denen das eine die Würde des Menschen um
eben so viel nach Oben erhöhte, als die andre nach Unten und
rückwärts verlängerte. Wir sind damit um einen Quell erhabener
Eindrücke ärmer geworden. In der Tbat machte eine grossartige
Alongeperücke in vorigen Jahrhunderten fraglos einen erhabenern
Eindruck als der kölnische Dom , der eben desshalb, weil die Pe-
rücke einen so grossen machte, gar keinen machte, daher unvoll-
endet blieb. Aber es ist auch kaum zu viel gesagt, dass sie früher
einen grössern machte, als der kölnische "Dom jetzt macht. So
erinnere ich mich gelesen zu haben, dass ein Kind, als sein Vater
Besuch von einem Bathsherrn erhielt, der eine ungeheure Pe-
rücke trug, nachher mit scheuer Ehrerbietung fragte, das sei doch
wohl der liebe Gott gewesen. Es konnte also das höchste Wesen
nicht ohne die grösste Perücke denken, und schloss nun umge-
kehrt von der grössten Perücke auf das höchste Wesen. So hatte
die Ehrfurcht vor der Perücke schon in den jüngsten Gemüthern
Wurzel gefasst.
Auch war es mit diesen Dingen nicht etwa wie mit dem heu-
tigen Frack, den man eben so allgemein theoretisch verwirft, als
noch vor Kurzem factisch in Gesellschaft trug, und selbst heute
noch nicht ganz, abzustreifen vermocht hat. Vielmehr galt der
Geschmack an jenen Dingen für so massgebend, dass ihn selbst
Vertreter des Geschmacks vertraten. Lese man , was ein Künst-
ler, der selbst eine Analyse der Schönheit geschrieben hat und