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einigung des Feinen und Hohen überhaupt unmöglich sei, so findet
sie sich doch weder im Subject noch Object oft zusammen, und
hat der Versuch ihrer Vereinigung sein Aber. Das gäbe Anlass,
ins Weite abzuschweifen; aber wir wollten zunächst nur vom Be-
gritfe des Geschmackes sprechen.
Während Geschmack allgemein gesprochen gut oder schlecht,
fein oder grob sein kann, legt man doch jemand Geschmack
schlechthin vielmehr in erstem als letztem Sinne bei, meint also,
wenn man von jemand sagt, er habe Geschmack, dass er einen
verhältnissmässig richtigen und feinen habe, braucht also in die-
sem engem Sinne Geschmack gleichgeltend mit Geschmack wie er
sein soll.
Die Bedeutung der- Beiwörter geschmackvoll, ge-
schmacklos hängt mit dieser engernBedeutung vonGeschmack
zusammen; dabei aber hat der Sprachgebrauch seine Launen.
Man spricht von geschmacklosen Menschen als solchen, denen ein
guter Geschmack fehlt, warum nicht auch von geschmackvollen
als solchen, die ihn besitzen. Wir haben dafür überhaupt kein
treffendes Beiwort; denn tactvoll bezieht sich mehr auf Beneh-
nien als Empfinden. _
Das Natur- und Kunstschöne ist. vorzugsweise Gegenstand des
höheren und feineren Geschmackes; doch wird Niemand eine
Landschaft oder ein historisches Gemälde nach Hauptbeziehungen
geschmackvoll oder geschmacklos nennen; wogegen Kleider, Mö-
beln, Decorationen, ganze Toiletten oder Zimmereinrichtungen
freigebigst mit jenen Beiwörtern bedacht werden. Auch die Auf-
stellung eines Gemäldes oder einer Statue, die man selbst wohl
schön, aber nicht geschmackvoll nennen möchte, in einer passen-
den oder unpassenden Umgebung kann als geschmackvoll oder
geschmacklos gelten; indess immer wahr bleibt, dass die Beur-
theil ung des Gemäldes, der Statue als schön oder unschön nach
dem unmittelbaren Eindrucke, den sie im Ganzen zu machen ver-
mögen, Sache des Geschmackes bleibt. Die adjectivische Bedeu-
tung in Bezug auf die Objecte des Gefallens und Missfallens folgt
also der substantivischen in Bezug auf die Subjecte nicht bis zu
den Gegenständen höheren Gefallens hinauf.
Hätte sich die Sprache systematisch ausgebildet, so würden
die Beiwörter überall besser mit dem Hauptworte stimmen; aber