Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 1)

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tern. Dagegen, dass wir die ganze Schönheit eines Bauwer- 
kes auf Zweckmässigkeit zurückführen wollen, ist schon im 
vorigen Abschnitte Verwahrung eingelegt, und es wird unten 
darauf zurückzukommen sein. 
Schnaase sagt in s. niederländischen Briefen bei Besprechung 
der Säulenstellungen an Tempelbauten: nNicht die Zweckmässig- 
keit, sondern die Schönheit macht die engen, der Stärke des Säu- 
lenstammes proportionalen, Intercolumnien nöthig   Die Theile 
des Gebäudes müssen harmonisch sein, die Säule darf dem Gebälk 
nicht zu hart widersprechen; sie muss, obgleich aufrecht stehend, 
eine Spur des Horizontalen an sich tragen, aus den einzelnen 
Säulen muss eine Reihe Werdenß 
Der Sinn ist der: das Gebälk läuft horizontal; also muss, 
damit nicht das Auge einen missfälligen Widerspruch der "Formen 
gewahre, auch die Gesammtheit der das Gebälk tragenden Säulen 
einen horizontalen Zug zeigen, was der Fall sein wird, wenn sie 
eng genug stehen  um dem Blick eine fortlaufende Reihe darzu- 
bieten; nicht mehr dagegen, wenn sie so weit stehen, dass Lücken 
auffällig werden. Wir betrachten dann jede Säule für sich, und 
so tritt nun eben der Widerspruch zwischen ihrer verticalen Rich- 
tung und der horizontalen Richtung des Gebälks grell und miss- 
fällig hervor. Ob die Säulen durch ihr Weiter- oder Engerstehen 
nun auch dem Zwecke des Gebäudes genügen, ist für unser 
Schönheitsgefühl gleichgültig. Nicht auf den Z we ck der Formen, 
sondern auf die nichts damit zu schaffen habende Einstimmung 
oder den Widerspruch derselben in sich achtet es dabei. 
Nun fragt sich zuvörderst: fodert wohl das Auge sonst, dass 
T heile, die ihrer Bedeutung nach so verschieden sind, wie Tra- 
gendes und Getragenes, sich zu einer Form-Aehnlichkeit accom- 
modiren"? Müsste nicht aus gleichem Grunde ein Tisch, um schön 
zu sein, seine Platte, statt von 4 Füssen, von einer fortlaufenden 
Reihe derselben tragen lassen? Aber um directer zu zeigen, dass 
Schnaasds Auffassung hier nicht im Rechte ist, braucht man blos 
das Material des Bauwerkes zu wechseln. Beim Steinbau dürfen 
die Säulen nicht weit stehen, weil sich sonst sofort das Gefühl 
geltend machen würde, dass sie die überliegende Steinlast nicht 
zu tragen vermögen. Wollte man die Säulen im Holzbau verhält- 
nissmässig gleich eng stellen, so würde sich das Gefühl des Unnö- 
thigen von selbst aufdringen. Dort würde uns ängstlich zumutlie 
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