Volltext: Vorschule der Aesthetik (Theil 1)

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nach theoretischer Voransicht meinen, das Quadrat müsse das 
wohlgefälligste sein, weil es das regelmässigste sei. In der That 
gaben einige Personen diess geradezu als Grund ihres Verzuges 
an, ja es kam vor, dass eine Person erklärte, eigentlich müsse 
wohl das Quadrat als das schönste gelten, doch aber sich nicht 
entschliessen konnte es zu bevorzugen, sondern ein anderes 
Rechteck wählte x). Hiegegen war es interessant, die mannich- 
fachen Motivirungen der Verwerfung des Quadrates zu hören, die 
im Laufe der Versuche zum Vorschein kamen; man erklärte es für 
das simpelste, das trockenste, das langweiligste, das plumpste, 
und eine geistreiche Dame, E. v. B., welche nicht verfehlte den 
(ihr wie allen Versuchssubjecten unbekannten) goldnen Schnitt zu 
bevorzugen, charakterisirte den Eindruck des Quadrates als den 
einer nhausbackenen Befriedigunga. 
Auch über manche andre Rechtecke wurden bei Gelegenheit 
der Bevorzugung oder Verwerfung charakteristische Aeusserun- 
gen gethan. Fräulein A. V., von sehr gutem Geschmack, nannte 
unter Bevorzugung von (Q die beiden längsten Rechtecke  und ä 
nleichtsinnige Formenc und erklärte das kurze g, indem sie es soli- 
darisch mit jenen verwarf, für ngemeina. An demselben Recht- 
ecke Wurde mehrfach getadelt, dass es fast wie ein Quadrat aus- 
sehe und doch keins sei; ja der blinde Herr v. Ehrenstein nannte 
es nach Anleitung des Tastgefühles eine nheuchlerische Forma. 
Buchbinder Wellig sagte, unter schwankeudem Vorzug zwischen  
und Er, von den kürzesten Formen i], g, g, 43 vsie hätten kein Ver- 
hältnissa. Eine Dame zog  vor, nweil es so schön schlank Seim. 
Der goldne Schnitt Q wurde von mehrern Personen bei der Be- 
vorzugung für das nnobelstea Verhältniss erklärt. . 
Im Ganzen kann ich wohl sagen, dass der goldne Schnitt. 
vorzugsweise von solchen Personen vorgezogen wurde, denen 
ich auch übrigens einen guten Geschmack zutraute, nicht selten 
freilich auch eins oder das andre der beiden benachbarten. Ferner 
gehörten die Vorzugsurtheile von Q im Allgemeinen zu denen, 
ü) Der blinde Dr. v. Ehrenstein, musikalischer Componist, dem ich D, 
5 : 6, 2 : 3, Q, 43 : 23, 4 : 2 vorlegte , bevorzugte nach dem Tastgefühle E1 
und 43 1 23 , welches letztre er für noch wohlgefälliger als 4 : 2 erklärte, in- 
dem er es aber für dieses hielt. Offenbar spielte hier auch die theoretische 
Vor-Ansicht vom Werthe der musikalisch consonirenden Verhältnisse eine 
Rolle.
	        
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