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Auch das Colorit wird bei guten Bildern keinesweges hlos
durch die Angemessenheit zum Sinne bestimmt, sondern darauf
gesehen, dass das Bild nicht im Ganzen unregelmässig fleckig,
scheckig, in grellen Contrasten oder zu unscheinbar oder monoton
in der Färbung gehalten sei, weil alles diess abgesehen von aller
Bedeutung weniger gut gefällt, als eine gewisse Abstufung und
Abwechselung der Töne ohne schroffe Uebergänge, wenn schon
starke Foderungen des Sinnes Ausnahmen hievon bedingen können.
Aus diesem Gesichlspuncte macht ein Gemälde schon von Weitem,
noch ehe wir seinen Inhalt erkennen oder wenn wir von demsel-
ben abstrahiren, einen erfreulicheren Eindruck als das andre.
Um diese Abstraction zu erleichtern und ein Bild um so sichrer in
Betreff seiner blossen Farbenwirkung zu beurtheilen, gebenManche
die Regel, dasselbe in umgekehrter Lage zu betrachten. Trifft
nun eine an sich gefällige Haltung des Colorits ganz mit den Fodc-
rungen des Sinnes zusammen, so entsteht als Erfolg des Hülfs-
princips ein Reiz des Colorits, der einem Bilde einen hohen ästhe-
tischen Werth verleiht, von manchem Künstler aber freilich selbst
auf Kosten der Foderungen des Sinnes angestrebt wird. Insofern
die Verhältnisse der grössern Farbenmassen für die totale Farben-
wirkung von hauptsächlichstem Belange sind, werden namentlich
die Farben der Gewänder, in denen eine gewisse Freiheit betreffs
der Angemessenheit besteht, gern so gewählt, dass wohlgefalligc
Farbebeziehungen dabei herauskommen, die mit dem Sinne des
Bildes nichts wesentlich zu schaffen haben.
Ueberhaupt kann man bemerken: erstens, dass Idee, Zweck,
Bedeutung unbeschadet ihres wesentlichen oder Hauptgesichtspunc-
tes meist einen erheblichen Spielraum in derAnwendung dieser oder
jener Formen oder Verhältnisse lassen, welchen man mit Vortheil
benutzen kann, die direet wohlgefälligsten vorzuziehen, oder, was
wesentlich auf dasselbe herauskommt, dass man die darzustellendc
Idee, den Zweck, die Bedeutung oft nach untergeordneten oder Ne-
benhestimmungen so moduliren kann, dass sie vielmehr zur An-
Wendung der wohlgefälligern als ungefälligern Verhältnisse Gele-
genheit geben. Zweitens, dass, wenn schon Idee, Zweck, Bedeu-
tung nach Hauptgesichtspuncten die höhere Federung stellen, wel-
cher die Rücksicht auf directe Wohlgefälligkeit weichen muss,
doch nach untergeordneten Bestimmungen nicht selten das Umge-
kehrte einzutreten hat, wenn ein wichtiger Vortheil directer Wohl-